The Florida Project

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The Florida Project 2017
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Der amerikanischen Traum liegt direkt vor ihrer Nase: Um die Ecke von Disney World lebt die kleine Moonee mit ihrer Mutter Halley in einem heruntergekommenen Motel. Halley ist ständig auf der Suche nach Geld, um sich und ihre Tochter durchzubringen, und wenn das legal nicht klappt, dann muss es eben illegal funktionieren. Sean Baker ("Tangerine L.A.") erzählt in heiteren, knallbunten Bildern von Menschen, die keine Chance haben, weil sie nie eine hatten. Neben dem wunderbaren Willem Dafoe arbeitet er dabei hauptsächlich mit Laiendarstellern. Beinahe wie ein Dokumentarfilm gedreht, ist Bakers betörend realistisches Independent-Drama ein ziemlich raffinierter Kommentar zur Lage der USA und dazu noch witzig und berührend.

White Trash ist die Bezeichnung für die arme, weiße Unterschicht vor allem im Süden der USA, die ursprünglich von schwarzen Sklaven verwendet wurde, um Menschen zu benennen, denen es noch schlechter ging als ihnen. Sean Baker siedelt seinen Film – nach dem Erfolg von „Tangerine L.A.“ – in diesem Milieu an, wieder also eine Geschichte über Minderheiten. Statt der einigermaßen schrillen Transgender-Szene in Hollywood und Los Angeles steht hier das wahre Leben jenseits der Märchenwelt von Disney World in und um Orlando/Florida im Vordergrund, kaum weniger schräg, mit leichter Hand inszeniert und deshalb umso bewegender. Diesmal erzählt Sean Baker aus Sicht eines Kindes: Moonee ist eine echte Straßengöre, so kess wie einfallsreich. Den letzten Sommer, bevor es in die Schule geht, verbringt sie, wie immer, meist unbeaufsichtigt, sie stromert mit ihren Freunden durch die Gegend, bettelt sich Geld fürs Eis zusammen, und ihre legendären Streiche in der Motel-Anlage rufen häufig den Motel-Manager Bobby (Willem Dafoe) auf den Plan. Bobby ist so etwas wie der Fels in der Brandung, nicht nur im Motel, sondern auch in Halleys und Moonees Leben. Tatsächlich ist er auf seine unauffällige, ruhige Art ihr bester Freund, und den haben die beiden verdammt nötig. Denn Halley, beinahe selbst noch ein Kind, kommt eigentlich überhaupt nicht mit dem Leben klar. Sie hat weder einen Beruf noch ein festes Einkommen, ist aber dennoch ihrem Kind eine liebevolle Mutter, soweit es ihr möglich ist.

Das Konzept des Versagens ist in der US-Gesellschaft nicht vorgesehen. Eine soziale Absicherung für junge Mütter gibt es nicht, nicht einmal Kindergeld oder eine Unterstützung, die der Sozialhilfe oder den Hartz 4-Gesetzen entspräche. Wer hier nichts wird, so heißt es, sei selber schuld und habe es nicht besser verdient. Das Paradies liegt gleich nebenan, ist aber unerreichbar. So wie Halley im quietschbunten „Magic Castle“ haust, so geht es vielen anderen, die einen Teil ihrer verbliebenen Würde daraus beziehen, dass sie sich die 38 Dollar pro Woche für ein schäbiges Motelzimmer leisten können. Und das ist eben auch die amerikanische Wirklichkeit – genauso wie das zauberhafte Feuerwerk allabendlich in Disney World.

Sean Baker verzichtet auf Erklärungen und Anklagen, sein Sozialdrama ist raffinierter und dadurch umso effizienter. Schon rein visuell ist der Film dank der Bildgestaltung von Alexis Zabe ein echtes Erlebnis: tolle Großaufnahmen von stiller Schönheit oder verblüffendem Witz für Landschaft oder Architektur und gleichzeitig reportagemäßig dicht an den Personen, wenn es um die Menschen geht, oft lebhaft, aber niemals gewollt artifiziell. Dank Sean Baker und seinem inspirierten Kameramann entsteht das Bild einer Welt, die sofort hässlich wird, wenn man an dem hübschen, bunten Putz kratzt, der manchmal nur sehr oberflächlich die Scheußlichkeiten verdeckt, die darunter wohnen. Aber er zeigt auch das Glück im Moment, und vor allem zeigt er die Welt aus der Sicht eines Kindes, genauer gesagt mit dem Blick eines rotzfrechen Balgs: Moonee, gespielt von Brooklynn Prince, die sich wahlweise mit schonungsloser Niedlichkeit oder mit den Umgangsformen eines Gangsta-Rappers in dieser Welt zu behaupten lernt.

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