Zwei Herren im Anzug

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Zwei Herren im Anzug 2017 Filmposter
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Edgar Reitz trifft Herbert Achternbusch trifft Gerhard Polt trifft Oskar Roehler: Mit 69 Jahren präsentiert Schauspiel-Urgestein Josef Bierbichler die Verfilmung seines Roman-Debüts „Mittelreich“ als eigenwillige Heimat-Saga der rigorosen Art. Am Beispiel einer Bauern-Familie in der oberbayrischen Provinz zeigt er ein Zeitgeist-Mosaik des vorigen Jahrhunderts. Vom Ersten Weltkrieg über die Nazi-Zeit bis zum Wirtschaftswunder und die 70er Jahre: „Das blau-weiße Band“ gewissermaßen. Betörend schöne Bilder. Verstörend böse Menschen. Sowie zwei, drei provokative Szenen, die an das Limit des Erträglichen gehen. So sieht mutiges, wuchtiges Kino aus: Viel Blasmusik, aber kein Prosit der Gemütlichkeit - und prompt kein Bayrischer Filmpreis und keine Berlinale für diesen Geniestreich.

Anno 1984 endet die Chronik mit der Beerdigung der Mutter. Der Witwer Pankraz (Bierbichler) und sein entfremdeter Sohn Semi (gespielt vom realem Sohn, Simon Donatz) versuchen sich nach dem Leichenschmaus im Gasthaus mit einem Gespräch nach jahrelangem Schweigen. „Ich muss mich erinnern!“, sagt der Alte und kramt in einer Kiste mit alten Schwarz-Weiß-Fotos. Mit Rückblenden erzählt er fortan als Ich-Erzähler, was sich seinerzeit zugetragen hat.

„Serbien muss sterbien“ grölt ein Trupp in Lederhosen, „bis Kirchweih sind wir zurück“ gibt man sich siegessicher. Der Krieg jedoch fordert Opfer. Der ältere Bruder Toni kehrt mit Kopfschuss als psychisches Wrack und fanatischer Juden-Hasser zurück. Pankraz muss seinen Traum als Opernsänger aufgeben, um den heimischen Hof zu übernehmen. „Ich war zwar nie ein Nazi. Aber kein Nazi war ich nie“, erklärt er dem Sohn sein Mitläufertum. „Ich war erst 31. Alles war leicht und vollkommen,“ heißt eine andere Entschuldigung. Die Zeit als Soldat hat er völlig verdrängt: „Ich weiß nichts mehr. Nur weiße Landschaften, sonst nichts“. Nicht nur den Vater plagen düstere Traumata, Sohn Semi hat im Klosterinternat gleichfalls die Hölle durchlebt.

Mit einer gängigen Familien-Saga will sich ein kreativer Berserker wie Bierbichler natürlich nicht begnügen. Er setzt vergnüglich auf ein Füllhorn surrealer Visionen, Verfremdungen sowie allerlei Provokationen. Da wird die gute alte Blasmusik durch die subkulturellen Töne der „Kofelschroa“-Jungs frisch aufgemischt. Beim bäuerlichen Faschingsball in der Nachkriegszeit sorgt eine lüsterne Lady mit Hitlermaske für Aufregung derweil der Hausherr mit Wagner-Arien und Hölderlin-Zitaten am stürmischen Seeufer sein Lebensleid klagt. Fehlt nur noch, dass der Sohn sich die Kleider vom Leib reißt, um sich mit ödipaler Absicht ins Bett der sterbenden Mutter zu legen. Visuell geht es weitaus feinsinniger zu. Tom Fährmann, preisgekrönter Stammkameramann von Sönke Wortmann, präsentiert wunderbare Tableaus in Schwarz-Weiß oder schleicht sich elegant durch leicht geöffnete Türen an die Figuren heran. Unter eigener Regie hat der leinwandpräsente Bierbichler sichtlich Spaß, mit laut polternder Schale und tief verletztem Kern, dem Affen gehörig Zucker geben. Die langjährige Fassbinder-Muse Irm Hermann läuft gleichfalls zur Hochform auf und erinnert an Loriots legendäre Zugfahrt-Szene aus „Pappa ante Portas“. Da ist es schon irritierend, wie solch wuchtiges Kino von der Berlinale ignoriert und dem Bayrischen Filmpreis geschnitten wurde. Vielleicht nimmt es der Bierbichler als Kompliment. Braucht er schon kein Herr im Anzug sein. Hochkarätige Preise hat er sowieso schon genug!

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