Das Mädchen und die Spinne

Berlinale 2021

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Das Mädchen und die Spinne - 2021 Filmposter
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Der komplexe Mikrokosmos einer auseinanderbrechenden Wohngemeinschaft gerät zum tragikomischen Sinnbild menschlichen Zusammenlebens: Nach ihrem Spielfilmdebüt „Das merkwürdige Kätzchen“ (2013), der auf der damaligen Berlinale einen kleinen Hype auslöste, melden sich die Schweizer Zwillinge Roman und Silvan Zürcher mit einem neuen Arthouse-Kleinod zurück. Bildsprachlich minimalistisch und fein überzeichnet erzählen sie in „Das Mädchen und die Spinne“ von Trennungsschmerz und der Beliebigkeit von Veränderungen. Eigenwillig, meisterhaft!

Der Grundriss einer nahezu perfekt aufgeteilten Dreizimmerwohnung: Alles und jeder hat seine Ordnung und seinen festen Platz. Doch damit ist es jetzt vorbei, denn Lisa (Liliane Amuat) zieht aus und Mara (Henriette Confurius) bleibt zurück. Während in der neuen, noch leeren Wohnung die Umzugshelfer rumwuseln, Kisten schleppen, Schränke aufbauen und Reparaturen durchführen, harrt Mara mit glasigem Blick im Hintergrund. Sie versucht, sich emotional auf die nahende Verabschiedung ihrer Mitbewohnerin und guten Freundin einzustellen. Sie spürt, dass sich ihre Welt verschiebt und aus der Balance gerät. Und sie muss sich unaufgeräumten Gefühlen stellen. Indessen scheint Lisa ganz beschwingt vom nahenden Auszug aus der gemeinsamen WG. Diese haben sich die beiden jungen Frauen über Jahre mit dem unkomplizierten Markus (Ivan Georgiev) geteilt. Im Laufe des Tages, der Nacht und des neuen Morgens entfaltet sich auf kleinem Raum ein Gewirr von Beziehungen und Begegnungen. In der Aufbruchsstimmung wird sich bang an Altes geklammert, kleine Neider werden geweckt und verbale Giftspritzen ausgeteilt – aber auch neue Bande geknüpft. Der gemeinsame Alltag, oberflächlich intakt, ist unterschwellig vorübergehend aus den Fugen geraten.

„Alles geht kaputt“ stellt Mara an einer Stelle trocken fest. Und tatsächlich: Das kleine Universum, das uns Roman und Silvan Zürcher hier entwerfen, ist durchwirkt von einem kontinuierlichen Zittern, das sich in jedem Wimpernschlag und in jeder Nebensächlichkeit äußert, die die Kamera einfängt – tote Fliegen, verschütteter Wein, nervöse Hunde und eine allgemeine Rastlosigkeit. In beengenden Einstellungen scheinen alle nach Orientierung, nach Halt zu suchen. Sie finden ihn sporadisch bei der leicht verkorksten Nachbarin Karen (Sabine Timoteo), bei einer Katze, im verträumten Blick der Kaffeeverkäuferin von nebenan oder in den tröstenden Armen des Umzugshelfers Jan (Flurin Giger). Bis eine kleine Störung wieder das Auseinanderdriften auslöst: Als ob man einer Handvoll Partikel in einer Art Magnetfeld dabei zusehen würde, wie sie sich gegenseitig anziehen und immer wieder voneinander abstoßen. Als heimlicher Fluchtpunkt fungiert da vor allem die titelgebende Spinne als Wesen, das ganz und gar selbstständig ein eigenes Netz spinnt.

Was die Schweizer Zwillingsbrüder vor etwa 8 Jahren in „Das merkwürdige Kätzchen“ begonnen, entwickeln sie in „Das Mädchen und die Spinne“ (dem wohl zweiten Teil einer geplanten „losen Trilogie über menschliches Zusammensein“) weiter. In kristallklaren Bildern sezieren sie genussvoll die Absurdität und Widersprüchlichkeit, die unserer zwischenmenschlichen Kommunikation oft innewohnt. Man könnte fast behaupten: Sie entlarven diese als ständigen Drahtseilakt der kleineren Missverständnisse und des aneinander Vorbeiredens: Ein Wunder, dass wir dabei nicht andauernd abzustürzen! Für diesen fragilen Schwebezustand erfinden die talentierten Regisseure eine ganz eigene Poetik des Sehens und Gesehenwerdens, in der die Protagonist*innen mit ihren distanzierten Lächeln und ihrer Frostigkeit fast wie Wachsfiguren wirken. Dass der Film trotzdem noch subtil eine große Wärme ausstrahlt und nicht zum unterkühlten Psychogramm wird, stellt hierbei das allergrößte Kunststück dar.

In Zeiten, wo man als Zuschauer von Film- und Serienangeboten regelrecht überflutet wird, ist es für junge Filmemacher*innen immer schwieriger, aus der Masse aufzutauchen. Doch genau das gelingt den Gebrüdern Zürcher mit Bravour: Sie präsentieren ein zuweilen gespenstisches Beziehungsgeflecht, dem sie mit kleinen Realitätsausbrüchen und sehnsuchtsvoller Verträumtheit ihren ganz eigenen Touch geben. Ihre verschrobenen ästhetischen Spielereien veredeln diesen kleinen Trennungs-Walzer mit einem hohen Wiedererkennungswert und machen ihn ungemein faszinierend!