Little JoeGlück ist ein Geschäft

Cannes 2019: Beste Darstellerin

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Little Joe - 2019 Filmposter
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Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes gehörte Jessica Hausners Wettbewerbsbeitrag „Little Joe“ zu den stilsichersten und vielschichtigsten im Programm. In beunruhigend schönen Pastelltönen erzählt sie von Ambivalenzen der Mutterschaft, den Folgen von unterdrückten Gefühlen und neoliberalem Optimierungswahn. Eine genmanipulierte Pflanze wird dabei für die Wissenschaftlerin, die sie erschaffen hat, zum Objekt vielfältiger Projektionen und lässt sie immer mehr an ihrer eigenen (Selbst-)Wahrnehmung zweifeln. Für ihr nuanciertes Spiel wurde Emily Beecham mit dem Preis als Beste Darstellerin ausgezeichnet.

Überwachungskameras rotieren über einem Hochsicherheitsbereich, der jedoch keine Staatsgeheimnisse umfasst, sondern leuchtend bunte Pflanzensetzlinge. Fein säuberlich aufgereiht blühen sie in einem Forschungslabor, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Botanik zu revolutionieren. Genetische Modifikationen gehören in dieser Disziplin seit Anbeginn zum Wissensrepertoire. Doch nicht die Schönheit und Form der Pflanzen steht nun im Vordergrund, sondern ihre psychotrope Wirkung auf den Menschen. Um sich gewinnbringend auf dem Markt zu platzieren, soll eine Züchtung geschaffen werden, die bei Depression und Burn-Out, den Nebeneffekten neoliberaler Ausbeutung, Abhilfe schaffen soll. Und tatsächlich präsentiert die perfektionistische Wissenschaftlerin Alice (Emily Beecham) ihren Kollegen ein erstaunliches Ergebnis. Blutrot sind die Blüten ihrer Schöpfung und lassen von Anfang an nichts Gutes ahnen. Über hormonelle Botenstoffe sollen die Pollen auf das menschliche Gehirn einwirken und dort Oxytocin freisetzen, ein Stoff, der auch für die Mutter-Kind-Bindung zuständig ist, und beruhigend wirkt.

Ein wenig ironisch ist es da schon, dass Alice als alleinerziehende Mutter nicht sehr viel mit ihrem kleinen Sohn Joe anfangen kann, der sie oft ins Labor begleitet. Eigentlich findet sie ihn eher hinderlich, denn er stiehlt ihr wertvolle Arbeitszeit. Da sie ihre negativen Gefühle ängstigen, sucht sie regelmäßig eine Psychotherapeutin auf, doch es scheint etwas in ihr zu geben, zu dem sie einfach keinen Zugang findet. Ihr attraktiver Kollege Chris (Ben Wishaw) hat schon mehrfach versucht, sie zu einer Verabredung zu bewegen, doch Alice blockt grundsätzlich mit dem Hinweis auf ihren Sohn ab. Ist der kleine Joe eine Belastung, oder doch eher ein Vorschub, um keine Nähebeziehungen eingehen zu müssen? Heimlich nimmt Alice die rote Blume mit nach Hause und überreicht sie dem Jungen als Beweis ihrer Mutterliebe. Das revolutionäre Gewächs soll seinen Namen tragen. Doch im Labor häufen sich plötzlich unheimliche Vorfälle. Wer in Kontakt mit „Little Joes“ Pollen kommt, verhält sich irrational aggressiv und scheint die eigene psychische Struktur zu verlieren. Haben die Pflanzen ein geheimes Eigenleben entwickelt?

Jessica Hausner spielt geschickt mit Konventionen des Genre-Films, um Spannung zu erzeugen und falsche Fährten zu legen. Doch anders als der Body-Horror in „Die Körperfresser kommen“ oder in Filmen von David Cronenberg geht es hier nicht um die Angst-Lust der physischen Überwältigung. Die Oberfläche aus Pastellfarben bleibt opak und bietet eher auf intellektueller Ebene vielfältige Lesarten an. Die neoliberale Optimierungslogik bricht sich hier an einer „Working Mom“, die mit ihrer Selbstverwirklichung ebenso ringt, wie der Angst vor Kontrollverlust. Ein wenig erinnert „Little Joe“ in solchen Momenten an Filme von Alfred Hitchcock. Das perfekte Setdesign und Emily Beechams unterkühltes Spiel tragen zu diesem Suspense bei.