NurejewThe White Crow

Cinemerit Award, Filmfest München 2019

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Nurejew - 2018 Filmposter
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Außenseiter der Gesellschaft bezeichnet man in Russland als ‘weiße Krähen’. Eine davon war sicherlich der Ballett-Star Rudolf Nurejew, dem der als Schauspieler bekannt gewordene Ralph Fiennes in seiner nunmehr dritten Regiearbeit ein Denkmal setzt. Dabei beschränkt er sich auf dessen Aufenthalt in Paris, wo er 1961 mit dem Kirow-Ballett gastierte. Doch durch in schwarzweiß gehaltene Rückblenden erfahren wir auch viel aus seiner Jugend und von seinem Werdegang zum Ballett-Star und mit den Geschehnissen in Paris auch viel über den Kalten Krieg und die Rolle des Künstlers in der Sowjetunion.

Nurejew ist gerade mal 23 Jahre alt, als ihm die sowjetische Führung erlaubt, an einem Gastspiel des Kirow Balletts in Paris teilzunehmen. Es gilt, Russland als Kulturnation international neuen Glanz zu verleihen. Niemand scheint dafür geeigneter zu sein als Nurejew, der neue Stern am Balletthimmel. Doch um das nationale Interesse schert sich der junge Draufgänger kaum und nutzt lieber die Gelegenheit, in das Kulturleben der westlichen Metropole einzutauchen. Am liebsten würde er genau dort untertauchen, doch der KGB hat längst ein Auge auf sein ‘enfant terrible’ geworfen und überwacht jeden seine Schritte. Doch Nurejew wittert Morgenluft, hat er sich doch nie an die Staatsraison gehalten und sich schon am Kirow Theater seinem ihm zugeteilten Lehrer widersetzt und sich eigenmächtig in die Klasse von Alexander Puschkin eingetragen. Der erkennt schnell das Talent seines Zöglings und fördert es auf seine ruhige und unaufgeregte Art, die so ganz im Gegensatz zu Nurejews Temperament steht. Er wird quasi eine Art Ersatzvater für ihn, nimmt ihn sogar in seiner Wohnung auf und ist einige Zeit der einzige, von dem Nurejew sich etwas sagen lässt. “Es geht nicht um Technik, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen und das Publikum zu berühren.” sagt er einmal im Film und fasst damit Nurejews Stärken und Schwächen in einem Satz zusammen. Aber wenn dessen Tanz auch nicht immer perfekt ist, so brennt er für die Kultur, und hier in Paris hat er erstmals die Möglichkeit, sie ganz und gar zu leben. In seiner aufrührerischen Art verbrüdert er sich mit westlichen Tänzern und führt den KGB vor der internationalen Presse vor, als dieser seinem Schützling nächtliches Ausgangsverbot erteilt. Schnell findet er neue Freunde, die sich für sein Schicksal interessieren und in der Chilenin Clara Saint eine Freundin, die ihn zu allen folgenden kulturellen Eskapaden animiert. So sehen wir ihn vor einem Gemälde im Louvre verweilen, was neue Tanzposen erahnen lässt und des nachts im Crazy Horse eine ganz andere Art von Tanz entdecken, so dass er aus dem Staunen und der Begeisterung nicht mehr herauskommt.

Auch wenn Fiennes Probleme hat, mit Nurejews Sexualität umzugehen, was auch seinem Respekt gegenüber den russischen Koproduzententen geschuldet sein mag, so gelingt es ihm doch, dessen kulturellen Amoklauf hin zur größtmöglichen persönlichen Freiheit nachvollziehbar zu machen, den Zuschauer gar anzustecken und mit auf diese begeisternde kulturelle Tour de Force zu nehmen, so dass am Ende beiden klar wird, was Freiheit eigentlich bedeutet. Eine Erfahrung, die es Nurejew unmöglich macht, wieder nach Hause zurückzukehren, was zu einem spannenden Finish am Pariser Flughafen führt.

NUREJEW ist nicht nur Biopic, sondern auch ein  Politthriller, der das Bild Russlands zu Zeiten des Kalten Kriegs zeichnet. Er zieht politische Gegebenheiten mit ein und beschwört die Kraft der Kultur. “Die Politiker haben Angst vor der Macht des Künstlers”, fasste Fiennes die Quintessenz seines Films auf dem Filmfest München zusammen und auch wenn der Kalte Krieg längst vorbei ist, gilt dieser Satz mehr denn je.