Die 72. Internationalen Filmfestspiele Berlin: Vorbericht

Ein Vorbericht von Kalle Somnitz

Obwohl in Berlin die Inzidenzen gerade fast täglich neue Deutschland-Rekorde schreiben, soll die Berlinale in diesem Jahr wieder physisch stattfinden. Darauf jedenfalls haben sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey geeinigt. Sie wollen ein Zeichen setzen, dass man Kultur nicht immer als erstes von der Liste streichen kann und ermöglichen so den Filmschaffenden, ihre Arbeiten wieder im Lichte der Öffentlichkeit zu zeigen.So lag es dann an Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, ein Konzept für ein physisches Festival zu entwerfen, das dennoch pandemie-gerecht sein soll. So haben sie den Wettbewerb auf 7 Tage (sonst 10) verkürzt und beschränken sich auf 18 Filme (sonst über 20), die in halb besetzten Kinos laufen sollen. Die Zuschauer müssen nicht nur immunisiert sein, sondern sich auch täglich testen lassen und im Kinosessel ein Maske tragen. So hofft man, selbst dem tückischen  Omikron-Virus zu entgehen, hoffen wir, dass dabei nicht das Filmerlebnis auf der Strecke bleibt.

Jedenfalls wird François Ozon die Berlinale mit PETER VON KANT eröffnen, mal wieder eine Hommage an Rainer Werner Fassbinder (DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT). Für Deutschland geht Andreas Dresen mit RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH an den Start. Nach seinem Publikumserfolg GUNDERMANN hat er wieder mit Schauspieler Alexander Scheer und Drehbuchautorin Laila Stieler zusammengearbeitet. Sie erzählen von der Mutter des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz und ihrem Kampf gegen die willkürliche Inhaftierung ihres Sohnes, der sie bis vor das US-Verfassungsgericht führt. RIMINI, der neue Film des Österreichers Ulrich Seidl, harrt schon länger seiner Uraufführung, und aus der Schweiz sind DRII WINTER von Michael Koch und LA LIGNE von Ursula Meier dabei.

Der zweite deutsche Beitrag kommt von Nicolette Krebitz (WILD). In ihrem neuen Film „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“ steht die Lehrerin Anna (Sophie Rois) plötzlich  dem schwierigen Waisenjungen Adrian (Milan Herms).gegenüber. Er hat sie tags zuvor überfallen, und sie soll ihm jetzt das Sprechen beibringen. Auffallend viele Filme handeln von der Liebe, konstatierte Chatrian auf der Pressekonferenz. So z.B. ALCARRÀS von der Spanierin Carla Simón, der mit ihrem Debütfilm CARLAS SOMMER 2017 ein Überraschungserfolg gelang. Claire Denis konnte für AVEC AMOUR ET ACHARNEMENT wieder Juliette Binoche für die Hauptrolle gewinnen. CALL JANE, das Regiedebüt der amerikanischen Drehbuchautorin Phyllis Nagys, die für CAROL eine Oscar-Nominierung erhielt, war gerade in Sundance zu sehen. Nagy führt Sigourney Weaver und Elizabeth Banks in einem historischen Abtreibungsdrama zusammen. Insgesamt sieben der 18 Wettbewerbsfilme sind von Frauen. Zwölf der Filmemacher*innen waren schon einmal auf der Berlinale vertreten, acht davon im Wettbewerb, fünf haben schon einmal einen Bären gewonnen. Zu den Wiederholungstätern gehören u.a. Preisträger Denis Côté, Hong Sang-soo und Paolo Taviani, der nach dem Tod seines Bruders erstmals alleine Regie führte.

In einer der  Nebenreihen ist THIS MUCH I KNOW TO BE TRUE von Andrew Dominik zu sehen, der mal wieder mit Nick Cave zusammengearbeitet hat. Vielversprechend hört sich Maggie Perens DER PASSFÄLSCHER an, in dem Shooting-Star Louis Hofmann sich in der Titelrolle mit Einfallsreichtum, Charme und einer gehörigen Portion Chuzpe durch das Berlin der Nazi-Zeit schlägt. Beflügelt wird er von Gerda, in der er nicht nur seine große Liebe, sondern auch seine Meisterin der Mimikry findet. Einen Goldenen Bären bekommt auf jeden Fall Isabelle Huppert für ihr Lebenswerk. In einer anschließenden Gala-Vorstellung wird ihr neuester Film À PROPOS DE JOAN zu sehen sein. An der Seite von Lars Eidinger spielt sie eine Frau, die plötzlich nach Jahren ihrer Jugendliebe wieder begegnet. Aufgewühlt durch die kurze Begegnung zieht sie sich in ihr Landhaus zurück und erinnert sich der Geister ihrer Vergangenheit.

Wer die anderen  Bären gewinnen wird, darüber entscheidet die Jury unter Vorsitz von M. Night Shyamalan. Im nächsten Heft und unter www.filmkunstkinos.de werden wir ausführlich berichten.