A Beautiful Day

Bestes Drehbuch, Bester Hauptdarsteller Filmfestspiele von Cannes 2017

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A Beautiful Day - 2017 Filmposter
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Ausnahmeregisseurin Lynne Ramsay ist immer wieder zu Gast im Wettbewerb von Cannes und ihre Arbeiten verbinden kontroverse, eindringlich gezeichnete Figuren mit einer ausgefeilten Filmsprache, beispielsweise in „We need to talk about Kevin“ mit Tilda Swinton. Hier ist es Joaquin Phoenix, der ganz und gar in seiner Rolle als zeitgenössischer Travis Bickle aufgeht – doch Ramsay gibt dem männlichen Protagonisten, der an Scorseses „Taxi Driver“ erinnert, noch mehr psychologische Konturen und übersetzt seine traumatischen Erfahrungen in die Struktur der Narration. Erneut gelingt ihr damit einer der besten Filme des Jahres.

Der Originaltitel „You were never really here“ beschreibt besser, was am Grunde der Erzählung liegt und eigentlich nicht darstellbar ist: Die traumatischen Erfahrungen der Protagonisten, die sich, als Form schwerer Gewalt, von einer Generation in die nächste immer weiter übertragen. Was sie dabei auszeichnet, ist, dass sie gerade nicht erfahren werden können, da sie die psychische Kapazität übersteigen und nur als Flashbacks das Bewusstsein heimsuchen. „Niemals da“ waren aber auch die Eltern – als verantwortliche Personen für die misshandelten und missbrauchten Kinder.

Der von Joaquin Phoenix gespielte Joe ist ein Golfkriegsveteran, der noch immer bei seiner Mutter lebt, doch Ramsays verschachtelte Erzählweise macht deutlich, wie sein Kriegstrauma in Zusammenhang mit seinem verstorbenen Vater steht, dessen Gewalttätigkeit wie ein Schatten über ihm liegt. Joe scheint nicht mehr gesellschaftlich integrierbar zu sein, sein Körper ist eine Kriegsmaschine, die mit gekonnten, automatisierten Griffen jederzeit zum Einsatz kommen kann. So verdient er sein Geld in der Halbwelt der „private security“ – als eine Art Söldner für all das, was man nicht der Polizei überlassen möchte. Da ist zum Beispiel der aufstrebende Senator Votto, dessen verschwundene Tochter vermutlich an einen Menschenhändler-Ring geraten zu sein scheint. Damit dies kein mediales Echo erfährt, wird Joe damit beauftragt, das junge Mädchen zurückzuholen – und er erhält gleichzeitig eine Carte Blanche was die Vergeltung anbelangt.

Aus diesem viel gesehenen Noir-Szenario, das über eine männliche Retterfigur funktioniert, macht Lynne Ramsay eine postmoderne Genre-Reflexion und zugleich eine psychologische Betrachtung der Folgen von Kindesmissbrauch. Denn je weiter Joe auf seinem Feldzug gegen das organisierte Verbrechen in die Strukturen der Macht vordringt, desto mehr werden seine eigenen tiefen Ohnmachtserfahrungen deutlich. Als er schließlich auf die zarte und zerbrechliche Nina trifft, erscheint er nicht als souveräner (Anti-)Held, sondern selbst als verletztes Kind, das gerettet werden muss. Ramsay zitiert gekonnt die klassischen Genre-Elemente, wie den Hammer aus „Oldboy“ (oder „Drive“), den selbsternannten Rächer aus „Taxi Driver“ oder den schweigsamen Profi-Killer aus „Léon“ – und setzt sie doch zu etwas Neuem zusammen, einem Nachdenken über die Ursachen männlicher Gewalt und ihren Konsequenzen.

Was ihre Filme dabei besonders auszeichnet, ist ihr Umgang mit der Kraft der Bilder. Dabei ist ihr Bezug auf Robert Bresson mehr als deutlich. Jeder Close-Up zeugt von einem unglaublichen Gefühl für die Materialität des filmischen Bildes und die evozierende Kraft der Montage. Jede Einstellung ist für sich genommen perfekt, wohl überlegt und eingebettet in eine intensive Atmosphäre. Ohne viele Dialoge und Handlungsstränge fesselt Ramsays Film durch seine makellose Inszenierung. Und auch Joaquin Phoenix gibt hier die ganze Bandbreite seines Könnens ein, die „A Beautiful Day“ zu einer der größten cineastischen Erfahrungen des Frühjahrs machen.

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