Die Unschuld

Bestes Drehbuch, Cannes 2023

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Die Unschuld - 2023
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Die Unschuld (Monster / Kaibutsu) Japan 2023 - 127 Min. - Bestes Drehbuch, Cannes 2023 - Regie: Hirokazu Kore-eda. Mit Sakura Andô, Eita Nagayama, Soya Kurokawa u.a. Hirokazu Kore-Edas Filme drehten sich schon immer um Familie und Moral. Zuletzt transportierte er das Thema sogar nach Europa, wo er in LA VÉRITÉ Catherine Deneuve und Juliette Binoche als Mutter und Tochter aufeinanderprallen ließ. Vorher hatte er in SHOPLIFTERS den Familienbegriff derart erweitert, dass hier niemand mehr miteinander verwandt war. Auch in seinem neuen Film variiert er dieses Thema und erzählt von der alleinerziehenden Mutter Saori, der das Verhalten ihres Sohnes Minato in letzter Zeit komisch vorkommt.

Ein wenig erinnert der Film an Lukas Dhonts CLOSE, der 2022 in Cannes zu sehen war. Auch hier geht es um zwei zehnjährige Jungen, deren Affinität zueinander zu groß ist, als dass sie nicht von ihrer Umwelt und ihnen selbst als ungewöhnlich wahrgenommen würde. Während den beiden nicht so ganz klar ist, was da gerade mit Ihnen geschieht, ist der eine schon zum Mobbing-Opfer in der Schule geworden, und dem anderen droht Gleiches, wenn er sich mit seinem Freund solidarisiert. Ein schmerzhaftes Unterfangen, immer wieder entscheiden zu müssen, ob er dem Freund hilft oder ihn verrät.

Auch dem Lehrer ist das Problem schon aufgefallen und das Kollegium inklusive Schulleiterin ist informiert. Gemeinsam versuchen sie den Jungs zu helfen, doch dem machen die Eltern unbewusst ein Ende. Während der Vater des einen schon erzieherische Maßnahmen eingeleitet hat, um das Monster in seinem Sohn zu vertreiben, ist Saori, die Mutter des anderen, komplett ahnungslos. Ihr Mann ist gerade verstorben, und so muss sie ihren Sohn Minato alleine aufziehen. Doch der Junge zieht sich mehr und mehr zurück, irgendwas scheint nicht zu stimmen und auf ihre Fragen antwortet er nicht. Also beginnt sie in der Schule nachzuforschen, doch auch hier will man ihr keinen reinen Wein einschenken, sondern versteckt sich hinter der moralischen Etikette und Höflichkeitsfloskeln.

Ähnlich wie in Akira Kurosawas RASHOMON erzählt Kore-Eda die Geschichte aus drei Perspektiven, nur dass es hier nicht um Wahrheit geht, sondern um Missverständnisse, die aus fragwürdigen Moralvorstellungen heraus entstehen. Zuerst zeigt er die Geschichte aus der Sicht der ahnungslosen, aber fürsorglichen Mutter und macht so den Zuschauer mit einer Geschichte bekannt, die er zunächst nicht verstehen kann. Die Perspektive des Lehrers bringt dann schon mehr Klarheit und zuletzt erzählen die beiden Kinder selbst ihre Geschichte, die dann eine tragische Dimension erreicht. Völlig zu Recht erhielt Kore-Eda eine Silberne Palme für das Beste Drehbuch.

Bisher hat Kore-Eda all seine Drehbücher selbst geschrieben, doch irgendwie hatte er mit dem Schreiben einen Endpunkt erreicht, so dass es ihm ganz recht war, Unterstützung zu bekommen. Und ausgerechnet von Yûji Sakamoto, den er schon sein ganzes Leben lang verehrt hat. Ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Arbeitsweise hat er das Drehbuch am Set auch nicht mehr verändert, sondern es als Befreiung empfunden, sich auf den Film konzentrieren zu können und nicht bei jeder Szene zweifeln zu müssen, dass das Drehbuch nicht trägt.

Auch was die Musik betrifft, konnte er auf seinen Wunschpartner zurückgreifen. Er hatte bereits den Rohschnitt mit Musik von Ryuichi Sakamoto unterlegt und schickte ihn nun an den schon schwer erkrankten Komponisten. Der sagte sogleich zu, auch wenn er um Nachsicht bat, dass er nicht mehr allzu viel Kraft habe. Er schrieb den kompletten Score und komponierte sogar zwei neue Stücke. Wer von diesem japanischen Ausnahme-Musiker Abschied nehmen möchte, sei die Dokumentation OPUS von seinem Sohn Neo Sora empfohlen, in dem der Meister ohne Dialog und Handlung noch einmal seine besten Stücke selbst am Klavier spielt.

 

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