Ema

Venedig 2019

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Ema - 2019 Filmposter
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Der obsessive Wunsch nach einem leiblichen Kind lässt für eine junge Tänzerin die Adoption eines kleinen Jungen zunächst scheitern. Sie bedauert bald darauf, den Schützling der Behörde zurückgegeben zu haben, und begibt sich auf einen ungewöhnlichen und provokanten Feldzug, um ihn zurückzugewinnen. Dabei wächst sie in ihrer Fähigkeit zu lieben über sich hinaus. Der chilenische Film findet durch seine intensive szenische Erzählweise starke Bilder für die Ambivalenz von Mutterschaft und verbindet die Kraft des Tanzes mit der Suche nach neuen Lebensweisen.

Das hörbare Knistern eines beständig brennenden Feuers geht dem ersten Filmbild auf unheilvolle Weise voraus, bevor die Leinwand den spektakulären Blick auf eine in Flammen stehende Verkehrsampel freigibt. Über den menschenleeren Straßen schwebt sie in einem surrealen Brand, den die Bewegung der Kamera mit einer jungen Frau in Schutzmontur verschränkt. Was zunächst wie ein Löschwerkzeug in ihren Händen erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Flammenwerfer. Die peroxidblonde Ema (Mariana Di Girolamo) ist in mehrfacher Hinsicht eine Brandstifterin. In einem grandios choreografierten Prolog entfaltet der chilenische Regisseur Pablo Larraín die Vorgeschichte seiner charismatischen Protagonistin wie in einem Tanz. Fragmentarische Szenen zu hypnotischer Elektromusik bilden einen Reigen, aus dem sich erst nach einer Weile Rückblenden und Gegenwartshandlung differenzieren lassen.

Ema stattet einer Sozialarbeiterin beim Jugendamt einen unangekündigten Besuch ab, der im Streit endet. Die junge Frau hat ein Kind adoptiert und nach kurzer Zeit wieder an die Behörde zurückgegeben, eine Entscheidung, die sie nun bereut. Doch der kleine Polo ist längst bei einer neuen Familie untergebracht, die offenbar mehr Sicherheiten zu bieten hat als die androgyne Tänzerin. Nahtlos geht der Dialog der beiden Frauen zu einer anderen Szene über: Eine Formation von Tänzern gruppiert ihre Körper im Dunkeln eines Saals um eine Videoleinwand, von der aus ein Feuerball das Geschehen in unheimliches Licht taucht. In Rotationsbewegungen umkreisen sie bald den Körper Emas, der an die Stelle einer Sonne tritt. Ein Bild, das Larraín ebenfalls ins symbolische Zentrum des Films stellt und immer wieder neu in Szene setzt.

Ema will mit einer solchen Unbedingtheit Mutter werden, dass diese lebensspendende Wärme zur sengenden Verletzung für ihre Umgebung wird. Das bekommt vor allem ihr Partner Gastón (Gael García Bernal) zu spüren, den sie für seine Unfruchtbarkeit mit kränkenden Wortsalven bombardiert. Seine Entgegnungen stehen dem in ihrer Schärfe kaum nach. Er wirft ihr vor, den Adoptivsohn Polo nicht angenommen und gleichwohl in eine perverse, destruktive Beziehung gedrängt zu haben. Tatsächlich verstört die Grenzenlosigkeit Emas, mit der sie körperliche Nähe einfordert und vom Besitz eines leiblichen Kindes fantasiert. Im Konflikt um Polo taucht für sie die Möglichkeit auf, sich aus ihren Abhängigkeitsstrukturen zu lösen und nach Autonomie zu suchen. Der Feldzug, auf den sie sich begibt um zu beweisen, dass sie auch ein fremdes Kind lieben kann, wird zu einer Gratwanderung zwischen Emanzipation und Entgrenzung.

Eigensinnig, betörend und herausfordernd widersetzt sich „Ema“ auch Einordnungen in filmische Kategorien. Die Entfaltung des Szenischen geht der Handlung immer soweit voraus, dass sich nie eine Übersicht auf das Geschehen einstellt. Es lädt dazu ein sich den Bildern in ihrem Rhythmus zu überlassen und der Verführung nachzugeben.