Futur Drei

Berlinale 2020 (2 Teddy Awards)

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Futur Drei - 2020 Filmposter
Informationen

Wegen eines Ladendiebstahls wurde Regisseur Faraz Shariat zu 120 Sozialstunden in einer Flüchtlingsunterkunft verdonnert. Nun, etwa fünf Jahre später, bringt er die an diese eigene Erfahrung knüpfende Geschichte in unsere hiesigen Kinos und landete bei der diesjährigen Berlinale einen fulminanten Überraschungshit. Schon einige Wochen vor der eigentlichen Premiere umwehte „Futur Drei“ ein ungewöhnlicher Hype! Das erzeugte hohe Erwartungen, die der Film einhielt und sogar übertraf: gespickt mit diversen Popreferenzen und Dolan´scher Ästhetik ist Shariat und seinem Filmkollektiv JÜNGLINGE ein beachtliches Debüt gelungen, in dem auf intelligente Weise zentrale Fragen und Problemfelder rund ums Heranwachsen mit Migrationshintergrund verhandelt werden. Sicherlich eines der Highlights des Festivals, das völlig zurecht 2 Teddy Awards abräumte und neben „Kokon“ wohl den bislang wichtigsten queeren Beitrag deutschen Kinos in diesem Jahr markiert!

Hildesheim, heute: Parvis (Benjamin Radjaipour) will ein Zeichen setzen und färbt sich die Haare blond: möglichst „deutsch“ soll es wohl aussehen. Die eigenen Eltern reagieren mit traurigem Befremden über die soziokulturellen Emanzipationsversuche ihres schwulen Sohnes, für den sie so viel zurückließen, um ihm ein solches unangepasstes Leben in Deutschland zu ermöglichen. Die eigenen iranischen Wurzeln scheint er jedoch lieber verdrängen zu wollen. Seine Revolte geht allerdings nach hinten los, denn er baut Mist und wird bei einem Ladendiebstahl ertappt. Die Strafe sind Sozialstunden in der Flüchtlingsunterkunft für Minderjährige. Dort treffen ihn schräge Blicke für seinen extravaganten Style. Lediglich die iranischen Geschwister Banafshe (Banafshe Hourmazdi) und Amon (Eidin Jalali) empfinden auf Anhieb Sympathie für den Quergänger, der in seinen freien Stunden Party macht und zu Sex-Dates tingelt. Zarte Freundschaftsbande bilden sich zwischen den Dreien, und zwischen Parvis und Amon entwickelt sich schleichend sogar noch etwas mehr…

Diskriminierung, Sexismus und latenter Alltagsrassismus sind hier gewichtige Aspekte, die Shariat aber nicht penetrant betont, sondern ironisierend und in lässiger Beiläufigkeit vorführt: „Das war das erste Mal, das ich was mit jemandem wie dir hatte. Eigentlich steh´ ich gar nicht so auf Ausländer.“ Muss Parvis sich beispielsweise nach einem Sex-Date anhören. Als schwuler Deutsch-Iraner fühlt er sich nirgendwo so richtig zugehörig und bekommt das vielerorts zu spüren. Während er auf Partys sein Image schon beinahe offensiv und profilierungssüchtig nach außen kehrt, katzbuckelt er in der Flüchtlingsunterkunft (zumindest vor den anderen skeptisch dreinblickenden Jungs), wo viele seine Muttersprache sprechen, und wird als aus dem Rahmen fallender bunter Vogel eher umgangen und gemieden. Parallel wird vermittels der Geschwister Banafshe und Amon ein weiterer Zugang geöffnet, der die Orientierungsschwierigkeiten Neuangekommener veranschaulicht und den oftmals schwerfälligen bürokratischen Apparat zeigt, der manchmal nach kontingent wirkenden Mustern verfährt. So kommt Banafshe, die die deutsche Sprache angesichts ihrer verhältnismäßig kurzen Aufenthaltszeit schon ausgezeichnet beherrscht und sich mustergültig „integriert“, in das Dilemma, zwischen Abschiebung und Scheinehe mit einem nach ihr schielenden Projektmitarbeiter entscheiden zu müssen.

Die Semibiografie erhält durch ergänzendes Videomaterial, das Faraz Shariat als Kind mit seinen Eltern (die übrigens auch gleich als Parivs´ Eltern besetzt wurden) zeigt, nostalgisch-dokumentarische Noten, die mit der lustvollen Popästhetik kontrastieren und zusammen mit dem erlesenen Soundtrack zu wunderschöner Filmpoesie verschmelzen, die jede Sekunde queeren Zeitgeist atmet. Shariat setzt den begrüßenswerten Trend vergangener Jahre fort und beweist anhand dieser ungewöhnlichen, berührenden Dreiecksbeziehung und interkultureller Reflexivität, dass deutsches Kino durchaus zu Innovation in der Lage ist!