Midsommar

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Midsommar - 2019 Filmposter
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Grotesk, sinnlich und radikal verstörend ist Ari Asters „Midsommar“. Nach seinem umjubelten Debüt „Hereditary“ übertrumpft der junge, aber bereits sehr stilsichere Regisseur den Erstling mit einem weiteren Werk, das man getrost (und in vielerlei Hinsicht) als „gewaltig“ bezeichnen darf. Damit trägt er maßgeblich zur Wiederbelebung eines totgeglaubten Genres bei, das gegenwärtig eine regelrechte Hochkonjunktur erlebt. Florence Pugh in der Hauptrolle liefert eine sensationelle Tour-de-Force-Performance!

Schon in „Hereditary“ beschritt Ari Aster Pfade des Okkulten und vermengte mit atmosphärischer Fingerfertigkeit wahrlich grauenerregende Bildkompositionen von eigentümlicher Kraft mit psychologischem Horror. In ihm ergründete und visualisierte er neben satanischen Opferungsriten auch die dysfunktionale Kommunikation einer im Grunde völlig entfremdeten Familie. Auch in „Midsommar“ sind dysfunktionale Kommunikation und Entfremdung gewichtige Motive, die die sonnendurchtränkten Bilder unheilvoll überschatten. Im Zentrum der Handlung steht das junge Paar Christian (Jack Reynor) und Dani (Florence Pugh). Christian ist schon seit längerem nicht mehr glücklich in der Beziehung. Doch er bringt es nicht über sich, Dani zu verlassen, zumal sie gerade eine schwere Trauerphase durchlebt. Da kommt es gerade recht, dass der schwedische Austauschstudent ihn und seine Anthropologie- Kumpels, die auf der Suche nach Promotionsthemen sind, auf einen exklusiven Trip nach Schweden mitnehmen will. Dort findet nämlich in einer kleinen, abgelegenen Gemeinde ein altehrwürdiges Fest zur Mittsommernacht statt, attraktive Schwedinnen inklusive. Schade nur, dass Dani Wind von dem Urlaub bekommt und sich spontan bei dem Männertrip einklinkt. In der schwedischen Gemeinde angekommen, erleben die Touris aus Amerika gleich einige Überraschungen. Denn das Mittsommer-Fest wartet nicht nur mit schrägen Schweden, sondern auch äußerst ominösen, heidnischen Ritualen auf.

Insgesamt mutet dieser Experimental-Horror an, als hätten Roman Polanski, David Lynch und Michael Haneke gemeinsam eine Art Remake von „The Wicker Man“ gedreht (was man getrost als Kompliment verstehen darf). Florence Pugh ist Zentrum und Herzstück dieses Films. Kraftvoll und eindringlich ist ihr ambivalentes, zwischen tiefer Verletztheit und wütender Enttäuschung changierendes Spiel: die Verkörperung einer Figur, die sich in all ihrer emotionalen Irritation schlussendlich nur nach Verständnis und Mitgefühl sehnt. Etwas, was der eigentliche Partner ihr nicht geben kann. Die sich vergrößernde Kluft zwischen Dani und Christian gerät gleichzeitig zum Fixpunkt dieser metaphorisch aufgeladenen, keineswegs angenehmen Seherfahrung. Ari Aster komponiert das Trennungsstadium als stetiges, lichtdurchflutetes Crescendo, das sich in einem fulminanten Schlussakt orgiastischen Ausmaßes entlädt. Schon wie in „Hereditary“ macht er den Zuschauer dabei sehr geschickt zum insgeheimen Komplizen und schamlosen Voyeur. Keine billigen Schockeffekte sind hier Programm, sondern wirklich markerschütternde Szenarien von suggestiver Brillanz, die sich nachhaltig ins Gedächtnis meißeln. „Midsommar“ ist so innovativ, dass er sozusagen als Kontrast zu genreüblichem Horrorkino funktioniert. Doch er ist auch so vieles mehr: Eine bildgewaltige Reflexion über Trauer, auseinanderdriftende Beziehungen und die dionysische Entfesselung der menschlichen Natur. Nur eines ist dieses – ja, nennen wir es so –Meisterwerk ganz sicherlich nicht: Ein Werbefilm für einen Schweden-Urlaub.