The Killing of a Sacred Deer

Cannes 2017

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The Killing of a Sacred Deer 2017 Filmposter
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Yorgos Lanthimos, eine der Galionsfiguren des Neuen Griechischen Films, hatte schon immer ein Faible für verstörend verquere Familiengeschichten. In „Dogtooth“ schotteten Eltern ihre Kinder von der Umwelt ab, in „Alpen“ nahmen fremde Leute den Platz verstorbener Angehöriger ein und selbst in „The Lobster“, in dem Singles für ihr Alleinsein bestraft wurden, ging es letztlich um die Keimzelle der Familie. Sein neuer Film gräbt zu diesem Thema das klassische Iphigenie-Motiv aus und fordert Opferbereitschaft in einem ungewöhnlichen Rachethriller.

Oberflächlich betrachtet führen Steven (Colin Farrell) und Anna Murphy (Nicole Kidman) ein Leben wie im Bilderbuch. Sie beide sind erfolgreiche Ärzte — er Chirurg, sie Augenärztin — ihre Kinder Bob (Sunny Suljic) und Kim (Raffey Cassidy) sind artig und begabt und sie leben alle miteinander freundlich und zufrieden in einem Eigenheim in einem reichen Vorort von Cincinnati. Das einzige, was sich von Anfang an nicht so recht in diese perfekte Idylle fügen will, ist Martin, ein etwas schmuddeliger Teenager, mit dem Steven sich regelmäßig heimlich trifft. Irgendwie ist Steven ihm hörig und scheint ihm jeden Wunsch erfüllen zu wollen und erst nach einer Weile wird klar, warum: Martins Vater ist bei einer Operation durch Steven ums Leben gekommen und, auch wenn Steven sich nicht wirklich schuldig fühlt, will er dem Jungen doch helfen. Das geht so lange gut, bis Martin immer mehr verlangt. Als er Steven schließlich mit seiner Mutter (Alicia Silverstone) verkuppeln will, wird es Steven zu bunt und er bricht den Kontakt ab. Doch damit wird Martin erst zu einem richtigen Problem: Verärgert verlangt er plötzlich von Steven, dass er ein Mitglied seiner Familie tötet — als Ausgleich für Martins Vater. Wenn er es nicht tut, so prophezeit ihm Martin, werden alle Mitglieder seiner Familie nacheinander erst gelähmt werden und dann sterben. Steven gibt natürlich nichts auf diese Prophezeiung, bis kurz darauf sein Sohn Bob tatsächlich nicht mehr laufen kann…

Mit teilweise Unerklärlichem muss man leben in den Filmen von Yorgos Lanthimos. In „The Lobster“ wurden Singles zur Strafe in Tiere verwandelt, wenn sie keinen Partner fanden, hier ist es der Fluch des rachelustigen Martin, der sich wirklich bewahrheitet. Nichts von alledem wird erklärt und gerade das macht einen Teil der Faszination aus. Man kann den Film sehen wie eine Fantasie des Teenagers, der einfach einen Schuldigen und Vergeltung braucht für seinen Verlust. Gleichzeitig ist Lanthimos aber auch ein ätzender Kritiker seiner Zeit. Dass die vorgestellte Familie kein wirkliches Ideal darstellt, ist von Anfang an klar. Die Kamera ist genauso höflich distanziert von den Figuren wie sie selbst es voneinander sind. Alles ist nur eine schöne aber klinisch kalte Fassade, die Gespräche drehen sich um Nichtigkeiten, die Kinder bekommen nur Zuwendung als Lohn für erbrachte Leistung. Insofern ist der rebellische Martin schon fast eine Erlösung – der Underdog mit der Fügung im Rücken. Insgesamt ein herrlich unangenehmer Film — vielschichtig verwirrend, faszinierend und böse.

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