Trouble Every Day

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Gerne bedient man sich in der Kunst dualistischer Gestaltungsprinzipien, die sich anhand des Lebens- und Todestriebes konstituieren. Inspiriert an Motiven des Vampirismus, der aus jeder Pore Sex ausdünstet, kreierte Claire Denis mit „Trouble Every Day“ in den frühen 2000ern faszinierenden Body-Horror, der heute neben Konsorten wie Alexandre Ajas „High Tension“ als einer der Wegbereiter eines neuen Extremismus im französischen Kino angesehen wird. Die Parallelisierung mit Ajas Film ist in diesem Fall aber schon fast frevelhaft, denn wo Aja einen brutal-reißerischen Slasher ablieferte, komponierte Denis samt reduzierter Bildsprache kunstvollen Horror. Damals eher mit mäßigem Wohlwollen von der Kritik aufgenommen, ist ihr Film mittlerweile Kult mit einer festen Fangemeinde und hat nichts von seiner Faszinationskraft eingebüßt. In hochwertiger Aufpolierung soll dieses Kleinod nun wiederaufgeführt werden.

Eine attraktive Frau (Béatrice Dalle) in lockender Bordsteinschwalben-Kostümierung steht am Rand der Straße und beobachtet einen einparkenden LKW. Der Fahrer steigt aus und bemerkt die Dame, die ihm lasziv entgegenschreitet. Kurz danach ist der Fahrer tot. Er liegt brutal zugerichtet auf irgendeiner Wiese. Der Wissenschaftler Léo (Alex Descas) findet die Leiche und in einiger Entfernung zum Tatort die blutbesudelte Mörderin, die halbverstört dahockt. Sie ist Léos Frau: Coré.

Parallel werden Shane (Vincent Gallo) und seine frisch angetraute Frau June (Tricia Vessey) in die Handlung eingeführt: sie reisen für ihre Flitterwochen nach Paris, die Stadt der Liebe. Schon im Flugzeug betüdeln sich die zwei. Doch je erregter Shane wird, desto mehr steigert sich seine Nervosität. Er flüchtet sich in die beengende Flugzeugtoilette, wo ihn grauenerregende Visionen einer blutüberströmten, toten June befallen.

Das alles geschieht, wie vieles in Denis´ rätselhaftem Film, beinahe wortlos. Erst sukzessive wird ersichtlich, dass sowohl Coré als auch Shane unter demselben libidinösen Problem leiden: sobald ihre Lust einmal entfesselt ist, geht das für den/die Partner/in meistens tödlich aus. Schuld ist wohl ein misslungenes genetisches Experiment, das Corés Mann Léo einst an seiner Frau und seinem ehemaligen Mitarbeiter Shane praktizierte. Nun schottet Léo seine Frau mit Mühe in einem abgesicherten Haus von der Außenwelt ab. Doch sie büxt regelmäßig aus, um ihren todbringenden Trieb zu befriedigen. Léo muss sie dann aufsammeln und die Spuren ihrer Umtriebe verwischen. Derweil kann Shane sich noch mithilfe diverser Medikation kontrollieren, doch fürchtet er darum, ebendiese Kontrolle über sich zu verlieren und June in Lebensgefahr zu bringen, sobald er schwach wird und mit ihr schläft. Dass er die Flitterwochen mit ihr gerade in Paris verbringt, ist indes auch kein Zufall: er will Léo wiederfinden: den Verursacher und potenziellen Erlöser seines Leidens.

Es sind teilweise Sequenzen, die ansatzweise an Jonathan Glazers jüngeres Meisterwerk „Under the Skin“ erinnern, wo Scarlett Johansson als lustmordendes Alien im verführerischen Frauenkostüm auf Männerjagd geht. Begleitet von lässigen Klängen der Rockband Tindersticks verdichtet Claire Denis die Atmosphäre ihres die meiste Zeit eher wortkargen Filmes vermittels zahlreicher Nahaufnahmen und durchdringend lauernder Blicke, in denen sich sexuelles Verlangen und Entsagung widerstreitig spiegeln. Sehr bezeichnend ist eine unterkühlte und dahingehend schon fast paradoxe, irritierende Sanftheit, mit der sie suspekte Stimmungen erzeugt. Diese kulminieren in zwei sehr intensiven, sehr verstörenden Szenen, in denen der Liebesakt zum sadistischen, blutrünstigen Verschlingen mutiert: Sex, der sich zur gierig-verstümmelnden Geschlechterschlacht (und -abschlachtung) wandelt.

Samt einem Mut zu betonter Langsamkeit, in der sich die seltsamen Geschehnisse abspielen, gewinnt jede Bewegung und jede vermeintliche Nebensächlichkeit an Bedeutung. Der feministische Kern lässt sich in kleineren, unscheinbareren Gesten identifizieren, wie als Shane im Hotel den Zimmerservice zum Tragen der Koffer bestellt. Doch anstatt eines Portiers erscheint dann das zarte Zimmermädchen, das sich am schweren Gepäck abschleppt, derweil der sichtlich beschämte Shane mit June ihr ins Hotelzimmer folgen. Die wiederkehrende Präsenz des Zimmermädchens ist auch die Wiederkehr einer unhaltbaren sexuellen Versuchung, bei der Shane seine gesamte Kraft aufwenden muss und schließlich scheitert.

Auch als sich ein überneugierige Nachbarsjungen in das streng abgeriegelte Anwesen Léos schleichen, in dem die eingesperrte und vor Verlangen berstende Coré auf sexuelle Erlösung harrt, sind das Momente von ambivalent-bedrohlicher Erotik und allerfeinster Suspense. Denis unterläuft hierbei auf kluge Weise den männlichen Blick, wenn sie die männlichen Jäger zu prädestinierten Gejagten macht, die zum Opfer der entfesselten Sexbestie Coré determiniert sind.

Die Figuren bleiben zweckgerichtet schablonenhaft: Béatrice Dalle, die schon Philippe Djians rasende „Betty Blue“ auf der großen Leinwand Leben einhauchte, ist ganz liebeswütige Mänade und damit die personifizierte, im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gehende Sinnlichkeit. Vincent Gallo als ihr männliches Äquivalent kämpft gegen diese liebeswütige Dämonie in sich an, bis sie eruptiv ausbrechen muss. Selten verschmolzen Sex und Desaster in so hochkonzentrierter Form! „Trouble Every Day“ ist eine radikale Ausschweifung mit wissenschaftsskeptischen Untertönen, die durch traumwandlerische Eigentümlichkeit betört. Eine kleine Perle, die eine Neuentdeckung definitiv verdient!

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