Die 75. Filmfestspiele von Venedig: Ein Vorbericht

Nachdem im Frühjahr das Festival in Cannes erstmals Schwäche zeigte, verheißt das Line Up der diesjährigen Jubiläumsausgabe von Venedig Vielversprechendes. Dabei legt Festivaldirektor Alberto Barbera eine gewisse Skrupellosigkeit an den Tag und zeigt all die Filme, auf die Cannes in diesem Jahr aus politischen Gründen verzichtete. So findet sich im gesamten Wettbewerbsprogramm nur ein Film von einer Frau. Für Cannes undenkbar, während Barbera kommentiert: “Ich schaue auf die Qualität der Filme und nicht darauf, wer sie gemacht hat.” Das gleiche Argument bemüht er in punkto Netflix. Hatte Cannes noch alle Filme des Streaming-Giganten aus dem Wettbewerb verbannt, findet man in Venedig gleich sechs davon im Programm. Damit gibt Venedig eine andere Antwort auf die Gretchenfrage, ob man Filme, die nie im Kino zu sehen sein werden, auf einem Filmfestival aufführen sollte. Interessant, welche Antwort der zukünftige Leiter der Berlinale geben wird.

Aufbruch zum Mond - 2018

Aufbruch zum Mond

Jedenfalls ist es Barbera gelungen, mit Netflix ins Gespräch zu kommen. Er  konnte sich sogar die Zusicherung einholen, dass Netflix für ROMA, den neuen Film von Alfonso Cuarón, der 2013 Venedig mit GRAVITY eröffnete, seine Auswertungsstrategie ändert. Der Film wird erstmals zuerst in den Kinos ausgewertet.
Nach diesem diplomatischen Erfolg startet das Festival mit einer wahren Rakete. Eröffnungsfilm ist Damien Chazelles AUFBRUCH ZUM MOND mit Ryan Gosling und Claire Foy in den Hauptrollen, ein neues Filmpärchen, das nach Gosling/Stone in LA LA LAND für himmlische Gefühle sorgen wird. Überhaupt bleibt Barbera seiner Linie treu und setzt auf Oscar-Anwärter, wie z.B. A STAR IS BORN, der schon Anfang Oktober in unseren Kinos zu sehen sein wird. Er spielt in dem Remake des Barbra Streisand-Films von 1976 selber die Hauptrolle, allerdings an der Seite von Lady Gaga. Zum vierten Male startet Julian Schnabel im Wettbewerb. Bisher hat es nicht für einen Löwen gereicht, aber vielleicht klappt es ja diesmal mit AT ETERNITY’S GATE, einem Biopic über van Gogh, in dem Willem Dafoe, Oscar Isaac, Rupert Friend und Mads Mikkelsen mitspielen.

Mit THE BALLAD OF BUSTER SCRUGGS melden sich die Coen Brothers zurück. Der ursprünglich für eine Fernsehserie geschriebene Film, wurde von den Brüdern zu einer Art Western-Anthologie mit sechs Episoden umgeschnitten und wird bei Netflix starten, also nicht im Kino zu sehen sein. Gleiches gilt auch für 22 JULY von Paul Greengrass. Dafür gibt es ein Wiedersehen mit Luca Guadagnino (CALL ME BY YOUR NAME), der sich mit  SUSPIRIA an einem Remake von Dario Argento’s bahnbrechenden Horrorfilm versucht. In den Hauptrollen spielen Dakota Johnson und Tilda Swinton. Mit diesem inzwischen normal gewordenen Überangebot an amerikanischen Filmen hat es Venedig geschafft, dass es inzwischen sogar von den Amerikanern als Eröffnung der Oscar-Saison gesehen wird.

Werk ohne Autor - 2018

Werk ohne Autor

Aber Barbera hat auch einige europäische Filme im Programm, die sich zumindest vielversprechend anhören. Da ist z.B. Mike Leighs PETERLOO, der schon für Cannes gehandelt wurde, Yorgos Lanthimos (THE LOBSTER) stellt THE FAVOURITE mit Emma Stone und Rachel Weisz vor und László Nemes, der mit SON OF SAUL 2015 den Auslands-Oscar gewann, hat SUNSET im Gepäck, der Anfang nächsten Jahres in unseren Kinos starten wird.
Und sogar ein deutscher Film hat es in den Wettbewerb geschafft. WERK OHNE AUTOR von Florian Henckel von Donnersmarck (DAS LEBEN DER ANDEREN) ist eine emotionale Achterbahnfahrt durch drei Epochen deutscher Geschichte, die den Wahnsinn und die Tragik des 20. Jahrhunderts anhand von drei Schicksalen beleuchtet. Auch er wird schon Anfang Oktober in unseren Kinos zu sehen sein.