Die 76. Filmfestspiele in Venedig: Ein Vorbericht

Eigentlich hat Festivalleiter Alberto Barbera schon vor Beginn des Festivals alles falsch gemacht. Mit nur zwei Regisseurinnen im Wettbewerb konnte er den Frauenanteil gegenüber dem letzten Jahr locker verdoppeln, wie das US-Branchenmagazin Variety ironisch titelte. Melissa Silverstein, Gründerin der Frauen Organisation in Hollywood twitterte sogar “1 rapist, 2 women directors in competition….What else am I missing?” und spielte damit auf die Teilnahme von Roman Polanski an, der nochmal die Dreyfus-Affäre in “An Officer and a Spy” wieder aufleben lässt. Doch es gab auch Ärger mit der UNIC, dem europäischen Kino-Dachverband, dessen Aufruf keine Netflix-Filme in den Wettbewerb zu nehmen, Barbera in den Wind schlug. Doch allen Unkenrufen zum Trotz hat er sich in den letzten Jahren in eine komfortable Situation gebracht und Venedig zur Eröffnung der Oscar-Saison gemacht. Diesem Prinzip bleibt er auch in diesem Jahr treu und beantwortet alle Kritik mit dem Hinweis darauf, dass ihm egal sei, ob der Film von einem Mann oder einer Frau gemacht wurde, ob ihn ein Filmproduzent oder ein Streaming-Dienst produziert habe, das Einzige, was für ihn zähle, sei die Qualität des Films.

The Truth – 2019

Somit eröffnet die diesjährige Auswahl mit “The Truth” von Hirokazu Kore-eda, der im letzten Jahr mit “Shoplifters” in Cannes gewann, und nun mit seinem ersten Werk aufwartet, das er außerhalb Japans gedreht hat. Für seinen emotionalen Film über Glück, Erinnerung, Lügen und Familienkonflikte vereint er Catherine Deneuve, Juliette Binoche und Ethan Hawke vor der Kamera. Roy Andersson gewann 2014 mit “Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach” den Goldenen Löwen und ist nun wieder mit “Über die Unendlichkeit” dabei. Immerhin eine deutsche Koproduktion. Das ist auch “The Perfect Candidate” von Haifas Al-Mansour, dessen “Das Mädchen Wadjda” uns noch in bester Erinnerung ist. Aus Frankreich kommt “Wasp Network” von Olivier Assayas, ein Spionage-Thriller, für den Penelope Cruz und Gael García Bernal vor der Kamera standen. Bernal spielt auch die Hauptrolle in Pablo Larraíns “Ema”, der Chile im Wettbewerb vertreten wird. Italien ist mit Ciro Guerras “Waiting for the Barbarians” nach J.M. Coetzee’s ausgezeichneter Novelle dabei, in dem Johnny Depp, Robert Pattinson und Greta Scacchi zu sehen sind. Der tschechische Regisseur Vaclav Marhoul konkurriert mit seiner Adaption von Jerzy Kosinskis Holocaust-Novelle “The Painted Bird” um einen Löwen und hat als Schauspieler Stellan Skarsgard, Julian Sands und Harvey Keitel an seiner Seite. In “The Burnt Orange Heresy” kollidiert die Kunst- mit der Unterwelt und dem italienischen Regisseur Giuseppe Capotondi ist es gelungen, Donald Sutherland und Mick Jagger vor seine Kamera zu bekommen.

Ad Astra – 2019

Ein Line Up, das sich sehen lassen kann und für viel Gedränge auf und vor dem roten Teppich sorgen wird – dabei habe ich noch gar nicht die Amerikaner erwähnt. Die rücken mit Joaquin Phoenix und Robert De Niro an, um “Joker” von Todd Phillips zu promoten und Brad Pitt, Tommy Lee Jones und Liv Tyler werden James Grays Science-Fiction-Vater-Sohn-Geschichte “Ad Astra” für die Oscars ins Gespräch bringen. Der Film startet schon diesen Monat in unseren Kinos. Hoch gehandelt wird aber auch der US-amerikanische Politthriller “Seberg”, in dem Regisseur Benedict Andrews inspiriert von wahren Ereignissen, die Geschichte des „Außer Atem“-Stars und Lieblings der Nouvelle Vague, Jean Seberg erzählt, gespielt von Kristen Stewart.