INTERNATIONALES FILMFESTIVAL ROTTERDAM 2025
Festivalbericht von Bea Hage und Eric Horst

videotheek marco
Besondere Aufmerksamkeit erhielt in diesem Jahr die Video-Ära in all ihren Facetten mit der Filmreihe FOCUS: HOLD VIDEO IN YOUR HANDS. Neben Dokumentationen und Shot-on-Video-Produktionen wurde auch verloren geglaubtes Material präsentiert. So etwa FRAUEN IN BERLIN (1981) von Chetna Vora, ein außergewöhnliches Zeitdokument über das Leben von Frauen in der DDR, das nur durch eine heimliche VHS-Kopie erhalten blieb. Ebenso interessant und mit Archivmaterial reich bebildert war die aktuelle Doku VIDEOTHEEK MARCO von Gyz La Rivière – eine Hommage an die Videotheken in den Niederlanden und die kulturelle Bedeutung von VHS.

lotte reiniger
Das Festival präsentierte auch die erste internationale Retrospektive der wenig bekannten deutschen Dokumentarfilmerin KATJA RAGANELLI. Ab Mitte der 70er Jahre erschuf sie dokumentarische Porträts über verschiedene Filmemacherinnen, die für das deutsche Fernsehen produziert wurden und danach in den Archiven verschwanden. In ihrem Werk warten filmhistorische Schätze darauf, entdeckt zu werden – und sind nebenbei auch sehr unterhaltsam. Teil dieser Werkschau war auch LOTTE REINIGER – HOMMAGE AN DIE ERFINDERIN DES SILHOUETTEN FILMS (1997). Ergänzend wurden zauberhafte Lotte Reiniger-Kurzfilme mit Klavierbegleitung und in Anwesenheit von Katja Raganelli gezeigt.

the surfer
Genre-Fans kamen mit LILIM von Mikhail Red auf ihre Kosten, einem düsteren Werk, das politische Unterdrückung auf den Philippinen mit einem unheimlichen Okkult-Horror verwebt. Auch THE SURFER des Iren Lorcan Finnegan zog viel Aufmerksamkeit auf sich. Nicolas Cage brilliert als einsamer Kämpfer gegen einen brutalen Surfer-Kult, der ihn aus seiner alten Heimat an der sonnendurchfluteten australischen Küste vertreiben will – ein packender Mix aus Thriller, Gesellschaftssatire und Exploitation-Kino.

blazing fists
Die japanische Genre-Legende Takashi Miike gab sich zur Freude seiner Fans die Ehre und stellte gut gelaunt sein neuestes Werk BLAZING FISTS vor. Die Handlung beginnt fäustegeladen in einem Jugendgefängnis, wo die beiden Protagonisten Ikuto und Ryoma schnell zu loyalen Freunden werden. Als der ehemalige Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Mikuru Asakura auftaucht und ihnen mit dem Kampfsport-Turnier „Breaking Down“ eine zweite Chance bietet, entbrennt ihr unbedingter Wille, daran teilzunehmen. Auf dem Weg dahin erwartet sie u.a. ein intensives Boxtraining mit einem schrägen Coach, eine Aufnahmeprüfung, Ärger mit verschiedenen Straßengangs, darunter die sadistischen Biker „The Krishna“. Und nebenbei gibt’s eine Menge Spaß – genau so, wie man Miike kennt.

memoir of a snail
Mit der düsteren Trickfilm-Komödie MEMOIR OF A SNAIL realisierte Adam Elliot (MARY & MAX) eine Knetanimation voller liebevoll gestalteter Details, die u.a. auch für den diesjährigen Oscar nominiert ist. Es ist das Australien der 70er Jahre. Die mit großen Kulleraugen ausgestattete Grace Pudel erzählt ihrer Lieblingsschnecke Sylvia schräge, aber auch traurige Geschichten von sich und ihrem Zwillingsbruder Gilbert. Beide werden in jungen Jahren voneinander getrennt und wachsen in unterschiedlichen Pflegefamilien weit entfernt voneinander auf. Dabei werden Themen angesprochen, die sich an ein erwachsenes Publikum richten. Bei jeder dunklen Tonalität schafft es Adam Elliot kontrastiv einen schwarzen Humor entgegenzusetzen, der sehr warmherzig und lebensbejahend ist.
Die norwegische Animationskomödie SPERMAGEDDON von Tommy Wirkola und Rasmus A. Sivertsen geht hingegen sehr vergnüglich unter die Gürtellinie. Der Film nimmt das Thema Fortpflanzung mit viel Witz und Musical-Einlagen aufs Korn und ist durchaus als Ergänzung zur klassischen Sexualerziehung geeignet.

bad painter
Der deutsche Künstler Albert Oehlen überraschte mit seinem Selbstporträt BAD PAINTER, das mit dadaistischem Humor den Kunstbetrieb persifliert. In der Hauptrolle glänzt Udo Kier, während Oehlen, der persönlich anwesend war, sein Werk als „albern“ bezeichnete – eine ironische Reflexion über das Künstlersein.
JOHN LILLY AND THE EARTH COINCIDENCE CONTROL OFFICE ist eine faszinierende Dokumentation über den Neurowissenschaftler John C. Lilly, dessen Experimente mit Delphinen und psychedelischen Drogen die Popkultur nachhaltig prägten.

on falling
Laura Carreiras Spielfilmdebüt ON FALLING ist eine bedrückende und intensive Darstellung der prekären Arbeitsbedingungen in modernen Lagerhäusern. Die Geschichte einer portugiesischen Migrantin in Schottland beleuchtet eindrücklich die menschlichen Kosten des globalen Konsums. Produziert wurde der Film vom Altmeister des sozialkritischen Kinos Ken Loach.

julie zwijgt
Das belgische Spielfilmdebüt JULIE ZWIJGT (dt. Titel: JULIE BLEIBT STILL) von Leonardo Van Dijl erzählt feinfühlig die Geschichte von Julie, einer talentierten Tennisspielerin, die an einer angesehenen Tennisakademie trainiert. Als ihr persönlicher Trainer Jeremy plötzlich ohne weitere Erklärungen suspendiert wird, tauchen unangenehme Fragen auf, die Julie nicht beantworten kann oder will. Stattdessen klammert sie sich an ihren Trainingsalltag. Nur ihre Gesten und Handlungen lassen ihre innere Zerrissenheit erahnen. JULIE ZWIJGT greift ein hochaktuelles Thema im Spitzensport auf: der Umgang mit mentaler Gesundheit, Leistungsdruck und manipulativen Strukturen, was gerne verschwiegen wird. Es sind Dinge, die dem japanischen Tennis-Star Naomi Osaka bekanntermaßen sehr am Herzen liegen, weswegen sie als Beraterin und Koproduzentin fungierte. Ein Highlight ist auch die Julie-Darstellerin Tessa Van den Broeck, eine echte Tennisspielerin, die zum ersten Mal vor der Kamera stand und sehr authentisch wirkte.