Ad AstraZu den Sternen

Venedig 2019

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Ad Astra - 2019 Filmposter
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In James Grays eindringlichem Science-Fiction-Drama „Ad Astra“ stellt Brad Pitt seine Qualitäten als nuancierter Charakterdarsteller erneut unter Beweis und begibt sich auf die Suche nach seinem verschollenen Vater an die Grenzen des Sonnensystems. Das Weltall wird dabei zu einem psychischen Raum der Auseinandersetzung mit Abwesenheitsstrukturen und der eigenen toxischen Männlichkeit, die auch den ungebrochenen Fortschritts- und Expansionsglauben der Wissenschaft durchzieht. Dass diese Logiken durchbrochen werden können, zeigt der Film durch starke Bilder ebenso wie mit seinem hervorragenden Schauspielensemble.

Schon die früheren Venedig-Eröffnungsfilme GRAVITY und AUFBRUCH ZUM MOND belebten das Science-Fiction-Genre neu, indem sie auf psychologische Zugänge statt nur auf bombastische Spezialeffekte setzten. Und auch der diesjährige Wettbewerbsbeitrag von James Gray (THE IMMIGRANT) reiht sich in diese Linie ein, wenn er einen facettenreichen Brad Pitt auf die Suche nach seinem abwesenden Vater ins Weltall schickt. AD ASTRA stellte sich entgegen seiner lauten Vermarktungsstrategie als zurückgenommenes Drama heraus, das im Stil des Klassikers SOLARIS dysfunktionale Familienstrukturen auf allegorische Weise verhandelt.

Im Zentrum stehen die Gedanken und Empfindungen des Astronauten Roy McBride (Pitt), der in mehrfacher Hinsicht im Schatten seines überdimensionalen Vaters (Tommy Lee Jones) steht. Dieser hat mit seinen Missionen an den Rändern des Sonnensystems Wissenschaftsgeschichte geschrieben, ist jedoch dabei auch verschollen. Als die Erde von unerklärlichen Energiestürmen heimgesucht wird, die kosmischen Ursprungs sind, wird vermutet, dass der alte McBride noch lebt und möglicherweise etwas Furchtbares getan hat. Sein Sohn wird abgesandt, um ihn aufzuhalten und durchlebt dabei eine Reise voller ambivalenter Gefühle: Der stets auf seine Karriere fixierte Vater hat ihn einst bei der Mutter zurückgelassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Das Resultat dieser Verletzung zeigt sich in einer Unfähigkeit Roys Gefühle zu zeigen oder auch nur Zugang zu ihnen zu finden. Die Beziehung zu seiner liebevollen Freundin (Liv Tyler) ist gescheitert, da der junge McBride sich nicht auf Nähe einlassen kann.

Genau diese Bindungslosigkeit befähigt ihn allerdings, wie schon zuvor seinen Vater, zu einer Karriere als Wissenschaftler und Astronaut. Auf dem Weg zum Planeten Neptun (der in der Astrologie übrigens ein Symbol für das Abwesende und Außerweltliche ist) bricht sein Zustand der inneren Gefrorenheit auf und lässt auch animalische Facetten zum Vorschein kommen. Auf einem gestrandeten Raumschiff, das ein Notrufsignal gesendet hat, trifft Roy auf blutrünstige Primaten, die den Kapitän angegriffen und getötet haben. In der Maßlosigkeit ihrer Gewalt spiegelt sich auch seine eigene Aggression gegen den Vater. Immer wieder werden solche durchaus bekannten Science-Fiction-Settings auf gelungene Weise zu inneren Bildern der Hauptfigur.

Die Kulissen sind in ihrem Design zeitlich schwer zu verorten und changieren zwischen einem Retro-Stil der Siebziger Jahre und aktuellen, durchaus humorvollen Bezügen wie einer DHL-Werbung auf dem Mond oder Charterflügen ins All. Darüber bewahrt sich der Film seine Nähe zum Hier und Jetzt und spielt zugleich mit den typischen Entgrenzungsfantasien, die das Genre seit jeher ausgelöst hat. „Ad Astra“ ist jedoch gerade keine Variation des oft bemühten „Heart of Darkness“-Motivs. Er ist daran interessiert zu zeigen, dass Destruktivität überwunden werden kann, wenn es eine Auseinandersetzung mit den eigenen Verletzungen gibt.

Im Zwiespalt zwischen uneingelöster Sehnsucht und unterdrückter Wut gibt der junge McBride im Voice-Over immer wieder die Stadien seines Aufarbeitungsprozesses preis. Dabei wird deutlich, wie sich Muster toxischer Männlichkeit von einer Generation an die nächste weitertragen. Unfähig zu sein, sich im Hier und Jetzt auf soziale Beziehungen einzulassen, und sich stattdessen auf das Unerreichbare zu fixieren, treibt einen falsch verstandenen Fortschrittsglauben der Wissenschaft ebenso an wie eine vaterzentrierte monotheistische Religion. Trotz eines Hauchs zu viel Pathos am Schluss ist die Botschaft des Films bewegend und zeitgemäß: Die Anerkennung, dass wir allein im Universum sind, ist vielleicht gar nicht so niederschmetternd, sondern der Beginn von Verantwortung und Sorge füreinander.