Die Bologna-EntführungGeraubt im Namen des Papstes

Cannes 2023

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Die Bologna-Entführung - 2023
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Marco Bellocchio ist der Altmeister des italienischen Kinos, und zeitlebens war ihm kein Thema zu heiß. 2003 rollte er den Fall Aldo Moro in BUONGIORNO NOTTE auf und legte sich mit der Roten Brigade an, in seinem Mussolini-Drama VINCERE nahm er 2009 die Politik aufs Korn, 2019 in IL TRADITORE bekam die Mafia ihr Fett weg, und in seinem neuesten Film ist nun die Kirche dran. Dabei erzählt er die wahre Geschichte des jüdischen Jungen Edgardo Mortara aus Bologna, der 1858 auf Geheiß von Papst Pius IX. seiner Familie entrissen und in den Vatikan verschleppt wurde, um seine christliche Erziehung sicherzustellen.

Ein Schock für die Eltern des Jungen, die bis dahin recht unbehelligt im jüdischen Viertel von Bologna lebten. Bologna gehörte damals zum Kirchenstaat, und so galt dort die Römische Inquisition, die auf den Plan gerufen wird, als die katholische Amme einem Inquisitor erzählte, dass sie das Baby der Mortaras vor sechs Jahren heimlich nottaufte als es schwer erkrankt war. Daraufhin entschied die Inquisition, sprich der Papst, den Jungen zu entführen und nach Rom in ein Katechumenenhaus zu bringen, um einen Christen aus ihm zu machen.

Der langjähriger Kampf der Mortaras um die Befreiung ihres Sohnes wurde von der Presse breitgetreten und fand viele Fürsprecher, war aber aussichtslos. Erst als der Befreiungskämpfer Garibaldi vor den Toren Roms stand, gelang ihm mit dem Durchbruch an der Porta Pia auch die Befreiung des inzwischen 18-jährigen Jungen. Doch an einem Wiedersehen mit seinen Eltern ist er kaum interessiert, ist er dem Papst doch längst treu ergeben und wird bis zu seinem Tod für ihn als Priester arbeiten.

Die Geschichte der Entführung des jüdischen Jungen habe ihn tief bewegt, erzählte Bollocchio in Cannes. “Papst Pius IX nahm die Erlösung der katholischen Gläubigen im Jenseits als Vorwand, um über das Schicksal eines Individuums – in diesem Fall eines
Kindes – zu bestimmen. Ein Vorgang mit schwerwiegenden Folgen für Mortaras langes Leben. Im Film wird klar, dass die Kirche dem Kind Gewalt angetan hat.“

Bellocchio inszeniert diese Geschichte am historischen Wendepunkt Italiens als großes kirchenpolitisches Drama um die Vormachtstellung des Papstes gegen die neuen demokratischen Kräfte der italienischen Einigung. Obwohl der inzwischen 83-jährige Bellocchio diesen historischen Konflikt auf ein persönliches Drama herunterbricht, scheint er an einem großen emotionalen Drama gar nicht interessiert, sondern bleibt bei den Fakten und inszeniert einen nüchternen Geschichtsfilm.

Wenn ihm also gelegentlich die emotionale Tiefe fehlt, so versucht er das durch den
imposanten Score von Fabio Massimo Capogrosso mit symphonischen Orchesterklängen von Schostakowitsch, Rachmaninow und Avo Pärt auszugleichen. Überhaupt bewegt sich der Film technisch auf höchstem Niveau, spielt in eindrucksvollen historischen Gebäuden und führt uns an historische Plätze von der Porta Pia über die Engelsburg bis zum Petersplatz. Doch Bellocchio erzählt nicht von vergangenen Tagen, sondern schlägt auch die Brücke zur heutigen Zeit und erklärt ganz nebenbei, warum es zur modernen Kriegsführung gehört, die Kinder des Feindes zu entführen.

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