Saint Omer
Frankreich | 2022 | FSK TBA
Großer Preis der Jury, Cannes 2022
Alice Diops Debüt, der Dokumentarfilm WE, wurde 2021 auf der Berlinale ausgezeichnet und im letzten Jahr präsentierte sie ihren ersten Spielfilm SAINT OMER auf dem Filmfestival in Cannes. Doch auch der trägt stark dokumentarische Züge und erzählt von einer senegalesisch-stämmigen Professorin und Buchautorin aus Paris, die in den titelgebenden Ort reist, um einen Gerichtsprozess zu verfolgen.
Vor dem Kadi steht eine des Mordes angeklagte Landsfrau, die ihr Baby den Fluten des Atlantiks überlassen hat. Nicht nur der gemeinsamen Heimat wegen interessiert sich Rama für den Fall. Sie will in ihrem neuen Buch den Medea-Mythos neu für die Gegenwart deuten und erhofft sich aus dem Prozess neue Erkenntnisse. Während der Film sehr nüchtern den Vorgängen vor Gericht folgt, gerät zunehmend Ramas emotionaler Zustand in den Blick. Selbst schwanger, entdeckt sie immer mehr Parallelen zu ihrem eigenen Leben, ihrer Familie und ihren Erfahrungen mit – wenn auch bisweilen verstecktem – Rassismus. Bezeichnend zum Beispiel die Frage einer als Zeugin geladenen Uni-Professorin, die sich wundert, warum die gut ausgebildete Angeklagte an der Uni als Thema ihrer wissenschaftlichen Arbeit Ludwig Wittgenstein gewählt habe und nicht ein Thema, das mehr mit ihrer eigenen Kultur zu tun habe. Die Tat erweist sich immer mehr als Folge einer beständigen Zurückweisung seitens einer Gesellschaft, die sich ihrer rassistischen Tendenzen selbst oft gar nicht bewusst ist.