Stiller
Schweiz, Deutschland | 2025 | FSK 12
Filmfest München 2025

Der Schweizer Filmemacher Stefan Haupt, der hierzulande durch seine Dokumentarfilme bekannt ist, hat mal wieder einen Spielfilm inszeniert. Mit STILLER adaptiert er einen Klassiker der Weltliteratur, bleibt nah am Roman von Max Frisch und setzt ganz auf seine beiden Hauptdarsteller Albrecht Schuch und Paula Beer. Die garantieren große Schauspielkunst, weshalb das Deutsche Theater in München der passende Ort für die Weltpremiere war.
„Ich bin nicht Stiller“ wiederholt sich Alfred Schuch ein ums andere Mal in diesem Film. Er spielt den Amerikaner James Larkin White, der an der Grenze im Zug festgenommen wurde, weil Zeugen in ihm den Schweizer Bildhauer Anatol Stiller wiederzuerkennen glaubten. Stiller ist vor sieben Jahren verschwunden, als man ihn gewisser Spionage-Tätigkeiten überführen wollte. White wird vom Staatsanwalt verhört, mit etlichen Fakten und Zeugen konfrontiert, und so verblüffend seine Ähnlichkeit mit jenem Stiller sein mag, beteuert er immer und immer wieder: “Ich bin nicht Stiller”.
Doch der einzige, der ihm glaubt, ist der Vollzugsbeamte, der ihn abends in seine Zelle bringt, mit dem er eine Zigarette raucht und von der endlosen Weite Amerikas, den großen Autos und der totalen Freiheit vorschwärmt. Das kommt bei dem Beamten gut an, in dessen typisch Schweizer Weltbild die Räume eng, die Verhältnisse geordnet und das Leben aber immer umständlich ist. In dieses Muster will der Staatsanwalt auch White pressen und fordert ihn auf, seinen Widerstand aufzugeben und sein Schicksal zu akzeptieren. Doch egal welche Beweismittel er noch findet, welche Zeugen ihn als Stiller identifizieren, beweisen, dass er es wirklich ist, kann er nicht. Also greift der Staatsanwalt zu seiner letzten Waffe und bittet Stillers ehemalige Ehefrau Julika, ihn zu identifizieren. Die meint zwar auch, den Ex wiederzuerkennen, doch ihre Gespräche mit ihm haben einen ganz anderen Tonfall als früher. Der aufbrausende Bildhauer ist auf einmal in sich gekehrt, ruhig, begegnet Julika auf Augenhöhe. Alle Laster und Vorurteile, die er damals pflegte, sind einer differenzierteren Betrachtung gewichen. Je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto mehr könnte man meinen, dass die beiden wieder zusammenkommen könnten. Passen würden sie jedenfalls zueinander. Ihre Gespräche werden immer philosophischer, kreisen um Identität und Rollenverständnis und spielen mit dem Gedanken, ob man sein Leben nochmal neu leben kann, wenn man sich seine Fehler eingesteht und einen Neuanfang wagt.
Manchmal hat man den Eindruck, dass jemand ein Fenster aufgemacht hat und dass für kurze Zeit ein Luftzug durch diesen Roman weht, der all das chauvinistische Denken, das unter dem Staub der Jahrzehnte immer noch da ist, verweht. Ein Eindruck, der wahrscheinlich dem jungen Alter der Schauspieler geschuldet ist, die die toxische Beziehung zwischen Mann und Frau in den 1950er Jahren nicht spielen können oder wollen. Damit spiegeln sie auch den Charakter von Max Frisch, der genauso als Erneuerer der zwischengeschlechtlichen Beziehungen galt und für mehr Gleichberechtigung eintrat, und dennoch in seinen eigenen patriarchalischen Strukturen gefangen war, wie Margarethe von Trotta es in ihrem Film über Ingeborg Bachmann so treffend beschrieb.
Zum Start des Films zeigen wir auch noch einmal Volker Schlöndorffs Verfilmung von Max Frischs HOMO FABER und Margarethe von Trottas biografischen Film über seine Zeit mit INGEBORG BACHMANN.


