Die 71. Filmfestspiele von Cannes – Ein Vorbericht

Gerade ist das Programm der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes veröffentlicht worden und das hat es wohl noch nie gegeben: Es fehlen die großen Namen. Hieß es früher, dass in den Wettbewerb ohnehin immer nur dieselben Verdächtigen eingeladen würden, während Newcomer meist chancenlos blieben, beschwert sich heuer insbesondere die amerikanischen Presse darüber, dass es mit Spike Lees Ku-Klux-Klan-Satire BlacKkKlansman (mit Adam Driver in der Hauptrolle) und David Robert Mitchells Under the Silver Lake nur zwei amerikanische Filme in den Wettbewerb geschafft haben. Den Grund für diese Misere sieht die amerikanische Presse im Streit mit Netflix, den Festivalleiter Thierry Fremaux bereits im letzten Jahr begonnen hat. Damals hatte er zwei Filme des Streaming-Giganten ins Programm genommen und musste auf Druck der französischen Kinowirtschaft zurückrudern. Er änderte die Statuten, die nunmehr fordern, dass nur Filme im Wettbewerb gezeigt werden dürfen, die auch eine Chance haben, jemals in den französischen Kinos zu laufen. An einer Kinoauswertung ist Netflix aber nicht interessiert und zog daher die neuen Filme von Alfonso Cuaron, Paul Greengrass und Jeremy Saulnier zurück. Immerhin blieb das Festival damit konsequent, keine Marketing-Plattform für Netflix sein zu wollen, sondern dem Kino treu zu bleiben. Eine Entscheidung, vor der im übrigen auch Berlin und Venedig steht, wo man solch klare Töne bisher noch nicht vernommen hat.

 

Everybody knows - 2018

Everybody knows – 2018

Aber selbst ein lauer Jahrgang in Cannes verspricht immer noch einige Kino-Highlights. So eröffnet Asghar Farhadi mit EVERYBODY KNOWS das Festival. Der iranische Regisseur von NADER UND SIMIN hat seinen Film mit Penélope Cruz und Javier Bardem komplett in Spanien und erstmals in spanischer Sprache gedreht. Auch sein unter Hausarrest stehender Landsmann Jafar Panahi (TAXI TEHERAN) hat es geschafft, einen neuen Film nach Cannes zu schmuggeln. Mit Three Faces verspricht er ein Feel-Good-Road-Movie. Und auch Kirill Serebrennikov (DER DIE ZEICHEN LIEST) wird der Premiere seines neuen Films LETO nicht selbst beiwohnen können. Auch der schwule russische Regisseur steht unter Hausarrest und wartet in Moskau auf einen Schauprozess, mit dem die russische Regierung eine neue kulturelle Richtung demonstrieren will.

 

The House that Jack built - 2018

The House that Jack built – 2018

Lars von Triers neues Psychodrama THE HOUSE THAT JACK BUILT ist gerade noch rechtzeitig fertig geworden und wird außer Konkurrenz gezeigt. Nach seinem düsteren Mafia-Thriller CAMORRA verspricht Matteo Garrones  DOGMAN, der sich mit einem der grausamsten Mordfälle in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt nichts Helleres. Und auch Alice Rohrwacher ist mit LAZZARO FELICE über einen naiven, aber glücklichen italienischen Landjungen dabei. Dass mit Stéphane Brizé, dessen UNE VIE gerade in unseren Kinos läuft, Altmeister Jean-Luc Godard, Christophe Honoré und Eva Hussons Frauen-Kriegsfilm LE FILLES DE SOLEIL gleich vier Franzosen im Wettbewerb vertreten sind, ist in Frankreich eine Selbstverständlichkeit, während Gleiches auf der Berlinale immer als nationale Bevorzugung kritisiert wird. Ansonsten gibt es tatsächlich keine große Namen im Wettbewerb, lediglich ein Schwerpunkt auf asiatische Produktionen ist auffällig.

 

Deutsche Filme finden sich nur in den Nebenreihen. So hat die Un Certain Regard mit Ulrich Köhlers IN MY ROOM mal wieder einen Vertreter der Berliner Schule eingeladen. Der von der Film- und Medienstiftung NRW unterstützte Film folgt einem in die Jahre gekommenen Protagonisten, der eines Morgens aufwacht, und es ist totenstill: Die Welt sieht aus wie immer, aber die Menschheit ist verschwunden… Wirklichkeitsgetreuer dürfte da schon Wim Wenders Dokumentarfilm PAPST FRANZISKUS – EIN MANN SEINES WORTES sein, der eine Auftragsarbeit des Vatikans ist und noch im Sommer groß in unseren Kinos gestartet wird. In einem weiteren Special Screening ist die Weltpremiere des zweiten Star Wars-Spin Off SOLO: A STAR WARS STORY von Ron Howard zu sehen, der wohl die befürchtete geringere Stardichte auf dem Roten Teppich ausgleichen soll. Über die Filme, die wir gesehen haben, werden wir im nächsten Heft und unter filmkunstkinos.de berichten.