Aus einem Gespräch am Rande des Filmfest München nach Bongs sensationellen Erfolgs mit Parasite.
Von Kalle Somnitz
Seit der Südkoreaner Bong Joon Ho die Goldene Palme in Cannes für PARASITE gewann, zählt er zu den renommiertesten Filmemachern des aktuellen Weltkinos, und nun steht die Premiere seines neuen Film MICKEY 17 auf der Berlinale an.
Den Erfolg in Cannes hatte Bong Joon-ho nicht erwartet. Als er wieder zuhause ankam, warteten 100 Journalisten auf ihn am Flughafen. Er hatte an dem Abend der Preisverleihung zu tief ins Glas geschaut, aber sein Alltag hat sich nach dem Gewinn der Goldenen Palme nicht verändert. Schon im Flugzeug habe er an einem neuen Drehbuch geschrieben. Im Hotel oder Zuhause kann er das nicht, da schläft er eher ein. Er schreibt fast nur in der Öffentlichkeit, meist in Cafés, wo er zwei Stunden sitzt und dann zum nächsten Café wechselt. Er beobachtet die Leute, bekommt Gesprächsfetzen mit und manchmal geht davon auch etwas ins Drehbuch ein oder bringt ihn auf Ideen.
Die Idee zu PARASITE ist ihm im Auto gekommen. “Ideen kommen oft aus heiterem Himmel, man muss nur bereit sein, sie aufzunehmen und festzuhalten”, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Dass seine Filme fürs Publikum oft sehr überraschend seien, wäre gar nicht gewollt, sondern passiere einfach beim Drehbuchschreiben. So hält er PARASITE auch nicht unbedingt für einen wütenden Film, für ihn ist es eher ein trauriger Film, denn die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, obwohl wir das Problem schon lange erkannt haben. Er spiegelt diese Thematik mit dem Halbkeller, der einerseits immer noch Tageslicht einlässt und einen vom Aufstieg träumen lässt und damit eine Metapher für die Hoffnung ist. Andererseits ist er aber auch eine Metapher für die Angst, ganz nach unten abzustürzen. Damit charakterisiert er (nicht nur) die koreanische Gesellschaft: Die Menschen leben meist getrennt aneinander vorbei und zeigen längst keinen gegenseitigen Respekt mehr, was am Ende des Films in einem wütenden Gewalt-Show Down eskaliert.
In PARASITE beschreibt Bong Joon-ho zum ersten Mal eine reiche Familie. Bisher waren die Armen und die Ungebildeten Hauptfiguren in seinen Filmen. Er unterlegt sie gerne mit klassischer Musik. Barockmusik ist für ihn irgendwie nicht von dieser Welt und bringt die Religion ins Spiel. Ansonsten sind Solidarität und Zusammenhalt wiederkehrende Motive, die sich durch Bongs filmisches Schaffen ziehen.
PARASITE schlägt in Sujet und Tonalität eine Brücke zu Bongs tragikomischem Erstlingswerk HUNDE, DIE BELLEN, BEISSEN NICHT (2000). Dieser bildete seinerzeit den Auftakt einer bemerkenswerten Reihe von Filmen, die sowohl von der Kritik als auch vom Publikum äußerst positiv aufgenommen wurden. Seinen Durchbruch erlangte Bong mit dem gefeierten Polizeithriller MEMORIES OF MURDER, der mit zahlreichen Auszeichnungen auf Festivals weltweit bedacht wurde. In diesem auf wahren Begebenheiten beruhenden Spielfilm ermitteln zwei abgebrühte, aber grundverschiedene Kommissare in dem Fall eines Serienmörders. Nach einem Testscreening zog der Investor sein Geld zurück, doch nach der Premiere wurde er dann zu einem großen Erfolg.
An den bemerkenswerten Erfolg konnte Bong mit dem Katastrophen- und Monsterfilm THE HOST (2006) nahtlos anknüpfen: Die aufwändige Produktion avancierte zum erfolgreichsten südkoreanischen Film aller Zeiten und war auch international enorm erfolgreich. Dabei nutzt Bong das Genre-Format des Monsterfilms, um unterschwellig geschickt eine Gesellschaftssatire zu entwerfen. Im Zentrum steht erneut die Familie als Einheit, die sich äußerer Angriffe erwehren muss.
In MOTHER (2009) zeigt er hldie dunkelste Seite der Menschen, doch was wie ein herkömmlicher Krimi beginnt, entpuppt sich bald als vielschichtige Charakterstudie, die uns in menschliche Abgründe schauen lässt. Bongs Mutter weigert sich bis heute, mit ihm über den Film zu reden.
SNOWPIERCER (2013) war Bongs erste englischsprachige Produktion. Der starbesetzte Science-Fiction-Film setzt sich kritisch und zugleich unterhaltsam mit gesellschaftlicher Ungleichheit und den fatalen Folgen globaler Erwärmung auseinander und ist damit ein hervorragendes Beispiel für die Funktionsweise von Bongs Genrefilmen.
Bongs Filme beginnen oft als Komödien und enden dann als Tragödie. Das sei halt wie im Leben: “Es gibt auch bei einer Beerdigung lustige Momente und eine Hochzeit kann auch traurig und einsam sein.” Es gebe halt nicht immer nur eine Emotion für eine bestimmte Situation. Er mische die Genres nicht bewusst oder mit Absicht, sondern bleibe nur seinem Erzählstil treu, der immer einen naturalistischen Ansatz habe. Warum er bei Presse und Publikum so enorm erfolgreich ist, weiß Bong selber nicht: “Vielleicht ist alles einfach nur Glück.”
Wir zeigen die wichtigsten Filme seines Schaffens, alle im Original mit deutschen Untertiteln.