Ein einfacher Unfall
Frankreich, Luxemburg, Iran | 2025 | FSK TBA
Cannes 2025: Goldene Palme

Was als kleiner Unfall beginnt, löst eine Reihe von Eskalationen aus. Der iranische Meisterregisseur Jafar Panahi, Gewinner des Goldenen Bären (Taxi Teheran), des Goldenen Löwen (The Circle), wurde für EIN EINFACHER UNFALL in Cannes 2025 mit der Goldenen Palme für den Besten Film ausgezeichnet. Trotz seines langjährigen Berufsverbots ist es Jafar Panahi erneut gelungen, einen Film zu schaffen, in dem Humor und Ernsthaftigkeit eine Geschichte über den heutigen Iran und über jene erzählen, die es wagen, Widerstand zu leisten.
Irgendwie hat man das Gefühl, Jafar Panahi habe alle seine Filme im Auto gedreht, und tatsächlich, auch in seinem neuen Film beginnt alles genau dort. Der Protagonist Vahid ist in düsterer Nacht mit Frau und Tochter auf dem Heimweg, als er einen streunenden Hund überfährt. Kurz danach bleibt er mit seinem Wagen in einer Kleinstadt liegen und findet glücklicherweise einen Anwohner, der eine kleine Werkstatt hat und ihm weiterhelfen kann. Als er diese Werkstatt betritt, um Werkzeug zu holen, fährt ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Er erkennt den Kollegen seines Helfers, ohne ihn zu Gesicht zu bekommen. Das typische Klacken seiner Bein-Prothese hat ihn monatelang im Gefängnis begleitet und neues Leid und neue Folter angekündigt. Am nächsten Morgen lauert Vahid seinem Folterer auf und entführt ihn kurzerhand. Er will ihn lebendig begraben, doch ein Freund rät ihm, das nicht zu tun. Stattdessen sucht Vahid seine Mitgefangenen auf, die das gleiche Leid wie er erfahren haben. Sie alle erkennen ihren Peiniger wieder, obwohl sie ihn nie gesehen haben, da sie immer mit verbundenen Augen vor ihn treten mussten.
Es ist eine dieser typischen Parabeln, die Panahi hier inszeniert hat, wie wir sie aus vielen iranischen Filmen kennen. Auf der einen Seite steht der Terror eines menschenverachtenden Regimes und auf der anderen das hohe moralische Bewusstsein der Bevölkerung. So sind seine Protagonisten innerlich zerrissen zwischen ihrem Wunsch nach Rache und der Erkenntnis, dass ihr Folterknecht auch nur ein Opfer des Regimes ist und sein Bein im Krieg verloren hat. Neu für Panahi, der immer zu den gemäßigten Filmemachern des Irans zählte, ist: Er nimmt kein Blatt mehr vor den Mund und greift die politischen Verhältnisse direkt an. Die Wahrheit schimmert nicht irgendwo zwischen den Bildern auf und er bemüht für die menschenverachtenden Verhältnisse keine Metaphern, sondern adressiert alles direkt. Kein Wunder, dass er den Film den Zensurbehörden gar nicht erst vorgelegt hat.
Bei der Ehrung mit der Goldenen Palme forderte er seine Landsleute auf, für ein Land zu kämpfen, das ihnen nicht vorschreibt, welche Kleidung sie tragen dürfen, das ihnen nicht vorschreibt, was zu tun ist und den Filmemachern nicht vorschreibt, welchen Film sie machen dürfen und welchen nicht. Ausgesprochen mutig, bedenkt man, dass
Panahi erst letztes Jahr nach seinem Hungerstreik aus dem Gefängnis entlassen worden ist, und danach Hausarrest, Berufsverbot und Reiseverbot aufgehoben wurden, so dass er endlich einmal wieder in persona an einem internationalen Filmfestival teilnehmen konnte.


