International Film Festival Rotterdam 2020

Die sympathische Hafenstadt schmückte sich auch dieses Jahr wieder mit den weißen Tiger-Bannern, um das unabhängige Kino junger, aber auch alteingesessener Filmemacher- und macherinnen gebührend zu feiern.

Mit „The Cloud in Her Room“ gewann die junge und äußerst talentierte Chinesin Zheng Lu Xinyuan den Tiger Award, den Hauptpreis des IFFR, und lieferte einen sehr persönlichen, formell und ästhetisch beeindruckenden Debütfilm um eine junge Frau, die in ihre Heimatstadt zurückkehrt und alles verändert vorfindet. Dabei schafft sie es ihre subjektive Sichtweise, gezeichnet in Schwarzweißbildern, auf eine universelle Ebene zu heben. Den Special Jury Award bekam die südkoreanische, schräge Krimikomödie „Beasts Clawing at Straws” des Newcomers Kim Yonghoon, in der sich eine raffinierte Genre-Story um eine ominöse Louis Vuitton-Tasche entspinnt. Auch der renommierte Bong Joon Ho präsentierte eine edle Schwarzweißversion seines vielfach prämierten Films „Parasite“ (Goldene Palme, vier Oscars) und sahnte damit den Audience Award ab. Als besonderes Highlight konnte man Bong Joon Ho in einer Masterclass erleben.

In der Reihe „Limelight“ porträtiert „Sound of Metal” von Darius Marder („The Place Beyond the Pines”) den Schlagzeuger Ruben, hinreißend von Riz Ahmed gespielt, und wie er plötzlich mit einem rapiden Gehörverlust zurechtkommen muss. Dabei nimmt uns das clevere Sounddesign mit in diese Welt, so wie man es vorher als Hörender noch nicht auditiv erleben konnte.

Erstmalig wurde in diesem Jahr ein neuer Preis zu Ehren von Robby Müller ins Leben gerufen, der für Filmkreative mit besonderer visueller Handschrift vergeben wird, wie es eben auch auf Robby Müller selbst zutraf. In der wundervollen Doku „Living the Light – Robby Müller” von Claire Pijman und einer Polaroid-Ausstellung konnte man sich noch einmal auf die Spuren von Robby Müller begeben. Der erste Preisträger ist der ambitionierte Kameramann Diego Garcia („Cemetery of Splendour“, „Nuestro tiempo“).

Nach fünf Jahren künstlerischer Leitung war das diesjährige Filmfestival auch der Abschied für Bero Beyer. An seine Stelle tritt nun Vanja Kaludjercic, die bisher das Programm des Streaming-Anbieters MUBI kuratiert hat. Schon in diesem Jahr waren starke Frauenfiguren besonders präsent, nun geht es also auch mit einer starken Frau an der Spitze weiter.

Die New Yorker Punk-Ikone Lydia Lunch hat nicht nur alle Screenings des Dokumentarfilms „Lydia Lunch – The War is Never Over“ ihrer Freundin Beth B begleitet, sondern auch mit einer Spoken-Words-Performance begeistert. Die inzwischen 60jährige hat nichts von ihrer subversiven Energie verloren, prangert Missbrauch und Krieg an und kämpft für die Gleichberechtigung der Frau mit ihren eigenen zum Teil drastischen Mitteln. Ergänzend dazu gab es eine reiche Auswahl von Kurzfilmen, die Beth B ausgesucht hat, und die tiefe Einblicke in die New Yorker No-Wave-Bewegung der späten 70er-Jahre gewährten.

Rotterdämmerung“ bezeichnet eine Reihe von Filmen, die auf ihre eigene Weise Genregrenzen ausloten und überschreiten. Der bildgewaltige französisch-kanadische Neo-Western „L’état sauvage“ handelt von einer Familie französischer Siedler in Amerika, die ihr Heim in Missouri zu Beginn des Bürgerkriegs verlassen müssen und nun versuchen New York zu erreichen. Während dieser Odyssee wachsen besonders die Frauen über sich heraus. Skurril wird es in „Gutterbee„. Voller lakonischem Humor erzählt der in erster Linie als Schauspieler bekannte Däne Ulrich Thomsen („Das Fest“) mit amerikanisch-englischem Cast die Geschichte eines deutschen Würstchenfabrikanten in einem US-Wüstenkaff. Toll gespielt, inszeniert und mit Anthony Dod Mantle („Slumdog Millionaire“) an der Kamera spart die schräge Farce nicht mit Kritik an Trumps verlogener und ausgrenzender „America First“-Politik.