RASTER: Videokunst im Cinema

Im Cinema-Café ist neuerdings ein Langzeit-Projekt des Wuppertaler Videokünstlers Kai Fobbe zu sehen, der im vergangenen Jahr seinen Gehörlosen-Film OHNE TITEL im Metropol gezeigt hat (nachdem er dort schon im Lockdown 2021 die bewegten Außenprojektionen im Rahmen der Aktion “Kino leuchtet” möglich gemacht hatte). Geplant ist eine zweite Installation als Außenprojektion an der Fassade über dem Kinoeingang. Schaut doch mal vorbei!

RASTER: Videokunst im Cinema

RASTER Europa. “Die Protagonisten“ im Film sind Tänzer und Fahnen.

Diese visualisieren GPS Koordinaten von konkreten Orten, die im Filmclip zu sehen sind.

Die Orte befinden sich in den Städten Europas. Jede Stadt wird in 100 Orte unterteilt.

Die Filme von jeder Stadt sind zwischen 30 und 400 Minuten lang.

Text: Cordula Echterhoff

RASTER
Überall arbeiten wir mit Rastern: Kartographen nutzen Raster, um Orientierung zu bieten, Fahnder, um Verdächtige zu finden, Vermesser legen sie über die Landschaft und auch in der Kommunikation legen wir Raster auf Menschen und soziale Gefüge, um sie einordnen zu können. Das immer gleiche Ziel: Wir wollen die Welt erfassen, sie verstehen und verständlich machen, um uns zu orientieren und zurecht zu finden.

Das Projekt „Raster“ arbeitet mit genau diesen Elementen. Spielerisch und systematisch. Es macht Orte einer Stadt sichtbar und stellt doch die Methode des Erfassens in Frage.

DIE EU
Im Jahr 2022 hat die Europäische Union 27 Mitglieder. Eines ist vor kurzem ausgetreten, mit anderen gibt es Konflikte, drei Länder haben gerade einen Beitrittsantrag abgegeben, an der Grenze zur EU herrscht Krieg. Innerhalb der EU hat man sich mit dem Schengenraum für offene Grenzen ausgesprochen; in den letzten Jahren wurden sie trotzdem immer wieder sichtbar und gesetzt. Anscheinend hört der Prozess der Neu-Kartierung und -Orientierung nie auf.

STÄDTE
Diese liegen im Fokus von RASTER. Wie lange sehen sie genauso so aus wie sie im Moment der Aufnahmen zu sehen sind. Wie lange bleiben ihre Koordinaten, ihre Gestalt, ihr Umriss; eingebettet in einer Gemeinschaft, die sich stets wandelt.

DIE ORTE
100 Orte in jeder Stadt werden filmisch aufgenommen. Die Orte sind scheinbar willkürlich gewählt, folgen aber einer strengen Ordnung. Ein nicht sichtbares Raster gibt sie vor. Darsteller bezeichnen systematisch jeweils einen Ort in jedem Planquadrat. Die erfassten Orte stehen gleichwertig und -rangig nebeneinander.

DIE FILME
Ein imaginäres Netz legt sich über die Stadt. In jedem Planquadrat wird ein Ort ausgewählt. An jedem Ort entsteht ein Film: Die Kamera fängt einen klar definierten Ausschnitt ein, die Einstellung bleibt statisch, Darsteller erscheinen und verschwinden. Mit einem Zeichensystem bezeichnen sie den Ort, zeigen Längen- und Breitengrad des Punktes an, an dem sie sich gerade befinden.

DAS ZEICHENSYSTEM
Die Darsteller sind Tänzer. Sie bedienen sich einer Zeichensprache, die der Gebärdensprache ähnlich ist. Für die, die das Zeichensystem nicht kennen, bleiben es Gesten, die permanent Aufmerksamkeit auf sich ziehen und rätselhaft bleiben. Der Versuch der Entschlüsselung kann zum Verstehen führen, oder auch nicht.

MEDIUM TANZ
Tanz ist universell-verständliches Kommunikationsmedium. Tanz drückt Gefühle aus und macht über die Choreographie und die angeordneten Konstellationen soziale Interaktion und Gefüge sichtbar. Tanz ist individuell. Deshalb ist der Tanz das ideale Medium, um die Orte zu bezeichnen: Jeder Tänzer behält seinen individuellen Ausdruck bei und trägt der Unterschiedlichkeit jedes einzelnen Menschen Rechnung. Der Ausdruck ist für jeden Betrachter potentiell verständlich, da die tanzende Bewegung über die klar definierten Zeichen hinausgeht. Die in den Filmen inszenierte Anordnung der Tänzer macht deutlich, dass sie die Erfassungs- und Bezeichnungsmacht haben. Auf vielfältige Weise in einem vielfältigen Europa. Doch mit welcher Legitimation sei dahin gestellt.

DIE IDEE DAHINTER
RASTER kartografiert die Stadt. Anmutig, verspielt, inszeniert. RASTER erfasst die Stadt. Jeder Orte kann wieder gefunden werden. Ganz transparent. Doch die Transparenz bleibt zwiespältig. Nur der, der sich missverständliche Zeichensysteme meint aneignen zu können, kann sich in der Welt zurecht finden: Oder?

Genauso zwiespältig bleibt die Methode des Rasters. Nur die Punkte im Planquadrat, die in den Blick genommen werden, sind sichtbar. Wer durch das Raster fällt oder ihm entschlüpft, bleibt unsichtbar. Es bleibt ein lückenhaftes Bemühen um das Erfassen eines Zustandes, der sich in stetigem Wandel befindet.

DIE VERNETZUNG
Ein grobmaschiges Netz soll sich über Europa legen. Am Ende steht „Europa im Raster“. Und gerade weil RASTER mit Zeichensystemen arbeitet, die für fast alle unverständlich bleiben, ist es für jeden verständlich. Als visueller Eindruck, der die Orte Europas, der Welt zeigt und das Erfassen selbst in Frage stellt.

DARSTELLER
Die Protagonisten in den Filmen sind TänzerInnen, die eine zeichenhafte Vernetzung visualisieren.

DANCER
Andrey Berezin / Russland
Blanca Noguerol Ramirez / Spanien
Charlotte Virgile / Frankreich
Chrystel Guillebeaud / Frankreich
Franko Schmidt / Deutschland
Iker Arrue / Spanien
Jan Möllmer / Deutschland
Jean Guillaume Weis / Luxemburg
Mark Sieczkarek / Schottland
Michael Carter / Australien
Eva Pageix / Frankreich
Tsai-Wei Tien / Taiwan
Tsai-Chin Yu / Taiwan
Yendi Nammour / Österreich

Concept
Kai Fobbe

Camera
Location & Dancer: Kai Fobbe
Dancer: Steffen Bohn

Dance Coordination
Jan Möllmer
Mark Sieczkarek

2017
Recording Studio Dance
Double C Wuppertal

Förderung

Anne Wiltafsky Kuhschule
Büro für Interkultur Oberhausen
Deutsche Botschaft Wien
Duisburger Akzente
Goethe-Institut Amsterdam
Goethe-Institut Lyon
Goethe-Institut Marseille
Goethe-Institut Stockholm
Heinrich Heine Institut Paris
Jeanine Ebnöther Trott
Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen
NRW Kultursekretariat Wuppertal
Stadt Essen Kulturbüro
Tessy Fritz / Villa Kunterbunt